Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das Wort dem Staatsminister des Innern des Freistaates Bayern, Dr. Günther Beckstein.

Staatsminister Dr. Günther Beckstein (Bayern): Frau Präsidentin! Meine hochverehrten Damen und Herren Abgeordneten! Lassen Sie mich einige Bemerkungen aus der Sicht des Freistaats Bayern zu dem Thema der elektronischen Wohnraumüberwachung machen.

Organisierte Kriminalität ist kein Phantasieprodukt obrigkeitsstaatlicher Fanatiker, sondern ein trauriges Problem der Realität der Sicherheitslage in den meisten Ländern der Welt und insbesondere auch in der Bundesrepublik Deutschland. Nahezu 100 Morde im Zusammenhang mit vietnamesischen Zigarettenbanden im Raum Berlin und in den neuen Bundesländern, Tausende Opfer von Schutzgelderpressungen chinesischer Triaden und türkischer PKK sind eine Realität.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwick!)

-- Herr Kollege Fischer, daß Sie keine Ahnung von den Sicherheitsthemen haben, weiß jeder in diesem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Lassen Sie mich auch sagen: Mir scheint es schon als Gipfel der Verhöhnung der Menschen in Deutschland, wenn sich ausgerechnet Herr Gysi als der Vertreter der Bürgerrechte heute früh darstellt, wo seine Partei verantwortlich dafür ist, daß millionenfach abgehört worden ist. Eine besondere Sachkunde scheint er ja im Bereich der Einhaltung von Schweigeverpflichtungen innerhalb seines Berufsstandes zu haben; aus den Diskussionen über "IM Notar" wissen wir das. Aber daß man dieses Problem ernst nehmen muß, das weiß jeder, der im Bereich der Sicherheitsbehörden tätig ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. -- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist das mit Schalck-Golodkowski am Tegernsee?)

Es ist Faktum, daß durch eine hohe Abschottung in Form von konspirativer Tätigkeit, durch die ethnische Zusammensetzung der entsprechenden Tätergruppen und eine professionelle Verbrechensplanung die Schwierigkeiten für alle Sicherheitsbehörden erhöht werden.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schalck! Schalck! Wie ist das? Wer hört da wo ab?)

Deswegen gibt es nahezu keinen Fachmann, der nicht den Einsatz technischer Überwachungsmittel als einen wichtigen Baustein für die Sicherheitsbehörden ansieht. Wir sind deswegen im Bereich der Innenministerkonferenz, die sich ausschließlich aus Personen zusammensetzt, die jetzt Verantwortung tragen, die die heutigen Kriminalitätsformen kennen und die Einsätze der Polizeibehörden zu verantworten haben -- bis hin zu einem liberalen Linken wie Herrn Glogowski oder Herrn Wienholtz -- einstimmig, über die Parteigrenzen hinweg und ohne jede Ausnahme, dafür, daß technische Überwachungsmittel eingesetzt werden.

(Lachen des Abg. Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] -- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: O je, Beckstein! Als Gott die Bayern strafen wollte, schickte er ihnen Beckstein!)

Selbstverständlich ist das nicht der Königsweg; dennoch muß es doch für jeden Sachverständigen ein wichtiger Hinweis sein, wenn italienische Sicherheitsbeamte und Politiker darauf hinweisen, daß bei mehr als drei Vierteln aller Großverfahren gegen die italienische Mafia

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: O je, Mafia!)

die Frage technischer Überwachung eine Rolle gespielt hat.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Richtig! So ist es!)

Daß wir auch im Kampf gegen kriminelle Vermögen einen wesentlichen Fortschritt erzielt haben, will ich hier ausdrücklich hervorheben. Ich halte das für einen wichtigen Fortschritt; auch diese Maßnahme ist von großer Bedeutung.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: So ist es!)

Nächster Punkt. Eine wesentliche Voraussetzung dafür -- ich hebe das ausdrücklich hervor --, daß der Freistaat Bayern dem gefundenen Kompromiß zustimmen kann, ist, daß die präventiv-polizeiliche Wohnraumüberwachung nach den materiellen Voraussetzungen im wesentlichen im bisherigen Umfang erhalten bleibt. Es ist in der Zwischenzeit ja dargestellt worden, daß es nicht so ist, daß das neu eingeführt wird; vielmehr haben wir diese Maßnahmen bereits -- in Bayern übrigens seit mehreren Jahren und damit länger als in Niedersachsen.

Wir haben auch eine deutlich höhere Anzahl von entsprechenden Fällen, weil gerade im Bereich der organisierten Kriminalität Gemengelagen zwischen Strafverfolgung und präventiv-polizeilichen Maßnahmen existieren. Bayern würde keinem Kompromiß zustimmen, durch den eine wesentliche Beeinträchtigung bei präventiv-polizeilichen Maßnahmen erfolgen würde. Das betrifft ausdrücklich auch die Frage der Videoüberwachung.

Einsichtig wird dies durch den Fall, der vom Bundesgerichtshof auf Klage in Bayern hin entschieden worden ist, in dem ein Serienbrandstifter durch die Videoüberwachung seiner Wohnungstüre davon abgehalten werden konnte, weitere Brandstiftungen durchzuführen. Eigentlich sollte jeder in diesem Hause einsehen, daß das erforderlich ist. Denn wie sonst sollen wir gegen die Taten extremistischer Serienbrandstifter gegen Ausländerwohnheime erfolgreich vorgehen können?

(Beifall bei der CDU/CSU -- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Video muß her! Am besten wären Röntgenstrahlen!)

Wir haben -- ich hebe das ausdrücklich hervor -- in Landesgesetzen bereits hohe rechtsstaatliche Sicherheitsschwellen eingebaut. Es ist eine wesentliche Voraussetzung des Kompromisses, dem wir zugestimmt haben, daß die formalen Voraussetzungen hierfür, grundgesetzlich abgesichert, wesentlich verschärft worden sind. Das wird dazu führen, daß wir auch das bayerische Polizeiaufgabengesetz ändern müssen, wie, glaube ich, fast alle anderen entsprechenden Ländergesetze.

Wer diesem Kompromiß heute nicht zustimmt, der muß sich dann auch darüber im klaren sein, daß selbstverständlich diese einschränkenden formalen Beschränkungen nicht dasein werden, wenn dieses Gesetz nicht verabschiedet wird.

(Beifall des Abg. Otto Schily [SPD])

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Staatsminister, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Bulling-Schröter, PDS?

Staatsminister Dr. Günther Beckstein (Bayern): Ja.

Eva Bulling-Schröter (PDS): Herr Minister Beckstein, ich möchte Sie gerne fragen, ob Sie der Meinung sind, daß, wenn dieser große Lauschangriff schon eher eingeführt worden wäre, die Steuerhinterziehungen des Bäderkönigs Zwick, oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, das Hinterziehen von Spendengeldern durch den CSU-Stadtrat Bletschacher -- , einem Parteifreund von Ihnen -- hätten verhindert werden können.

(Beifall bei der PDS)

Staatsminister Dr. Günther Beckstein (Bayern): Frau Abgeordnete, es tut mir leid, daß ich eine so dumme Zwischenfrage zugelassen habe.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)

Daß ausgerechnet von einer Partei, die millionenfaches rechtswidriges Abhören zugelassen hat, die Forderung gestellt wird, daß der Rechtsstaat ernsthaft etwas gegen Schwerkriminalität tun muß, halte ich für eine Verhöhnung der Bürger in unserem Land.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Wir akzeptieren die schärferen formalen Voraussetzungen, die Gegenstand des Kompromisses sind. Jeder, der diesen Kompromiß ablehnt, muß wissen, Herr Abgeordneter Hirsch, daß die Verfahrenssicherungen im präventiv-polizeilichen Bereich nicht gelten wie im Rahmen dieses Kompromisses.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der F.D.P.)

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Hirsch?

Staatsminister Dr. Günther Beckstein (Bayern): Ja.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Bitte schön, Herr Dr. Hirsch.

Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Herr Kollege Beckstein, wenn Sie das, was zu den Polizeirechten -- also auch für das bayerische Polizeirecht -- in diesem Gesetzentwurf steht, für akzeptabel und für besser halten als das geltende Recht: Was hindert Sie daran, das in Bayern durchzusetzen? Sie brauchen dazu doch nicht auf unsere Gesetzgebung zu warten.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)

Staatsminister Dr. Günther Beckstein (Bayern): Aber Herr Abgeordneter Hirsch, ich habe deutlich gesagt, daß wir bereits heute wirksame rechtsstaatliche Voraussetzungen haben, beispielsweise den Einzelrichter, der bei uns genehmigt. Ein anderes Beispiel dafür ist, daß die Genehmigung in Eilfällen allein im Verwaltungsbereich durch den Dienststellenleiter erfolgen muß. Wir halten das für rechtsstaatlich ausreichend. Es gibt bisher keinen einzigen Fall -- obwohl wir das in aller Regel mitgeteilt haben --, bei dem uns der Vorwurf gemacht wurde, daß das rechtswidrig oder materiell falsch gewesen sei.

Aber wir haben der Einführung einer besonderen Strafkammer des Landgerichts für den repressiven Bereich zugestimmt, um auf diese Weise den Kompromiß mitzutragen. Wir werden aber unter keinen Umständen -- es sei denn, der Kompromiß erfordert das -- zu Erschwernissen für die polizeiliche Arbeit beitragen.

Zweiter Punkt. Ein besonderes Anliegen war für mich die Frage des Personenschutzsenders. Es muß um den Schutz der Beamten im Bereich der Schwerkriminalität gehen. Hier wurde eine befriedigende Regelung getroffen, die in Art. 13 Abs. 5 des Grundgesetzes ihren Niederschlag gefunden hat.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Staatsminister, ich muß Sie schon wieder stören. Der Abgeordnete Manfred Such meldet sich zu einer Zwischenfrage.

Staatsminister Dr. Günther Beckstein (Bayern): Nein. Ich bitte um Nachsicht.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Gut, jetzt keine weiteren Zwischenfragen.

Staatsminister Dr. Günther Beckstein (Bayern): Darin ist geregelt, wann Beamte Personenschutzsender tragen dürfen. In diesen Fällen werden Beamte freiwillig, wenn auch mit einer Identität, die andere täuscht, in eine Wohnung hineingelassen. In der Regel meint der Beschuldigte, er habe es mit einem Mittäter zu tun. In Wirklichkeit handelt es sich um einen Polizeibeamten. Jeder, der in der Praxis tätig ist, weiß aber um die außerordentlichen Gefährdungen für die Polizeibeamten, die im Auftrage, unsere Sicherheit zu gewährleisten, im Auftrage, mögliche Opfer zu schützen, tätig werden. Wir haben die Verantwortung, diese Menschen wenigstens durch einen Personenschutzsender zu schützen.

Ein solcher Beamter geht in die Wohnung des Verdächtigen. Dann wird aus der Wohnung heraus übertragen, was gesprochen wird. Die gewonnenen Erkenntnisse sind zu verwerten, wenn die richterliche Feststellung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme auch für Strafverfolgungszwecke erfolgt. Dies ist unserer Auffassung nach sorgfältig nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip zu begründen, aber nicht an die Voraussetzungen des Art. 13 Abs. 3 und 4 des Grundgesetzes gebunden.

Ich widerspreche in diesem Punkt ausdrücklich einer mißverständlichen Interpretation in der Begründung im Rechtsausschuß des Bundestages. Es entspricht nicht dem Verhandlungsergebnis vom 7. Januar 1998, wenn wir hier ausschließlich eine Verwertung für Katalogstraftaten zulassen würden. Gerade Erkenntnisse im Bereich der Nichtkatalogtaten wie Kinderpornographie, Vergewaltigung oder Raub können verwertet werden, wenn beispielsweise im Rotlichtmilieu ein verdeckter Ermittler davon erfährt und das über Personenschutzsender dokumentiert wird.

Das letzte Thema, das ich ansprechen will: Der Schutz der besonderen Vertrauensverhältnisse zeugnisverweigerungsberechtigter Personen und Berufe ist gewährleistet. Ich halte die Debatte darüber für schief. Wir wissen, welche Bedeutung das Vertrauensverhältnis zeugnisverweigerungsberechtigter Personen hat. Ich war früher als Anwalt tätig und weiß, welche Bedeutung solche Vertrauensverhältnisse gerade bei zeugnisverweigerungsberechtigten Personengruppen haben.

Es kann aber doch nicht richtig sein, das am Wohnraum festzumachen; statt dessen muß doch das Vertrauensverhältnis entscheidend sein. Es kann nicht richtig sein, ein totales Erhebungsverbot in den Kanzleiräumen durchzusetzen und eine totale Erhebungsmöglichkeit beispielsweise in den Gewerberäumen des Mandanten oder im Flughafenrestaurant, sollte er sich dort mit seinem Anwalt treffen, einzuräumen. Es geht vielmehr darum, daß nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den verfassungsmäßigen Prinzipien im Einzelfall abgewogen wird, ob es angesichts der gefährdeten Rechtsgüter verantwortbar ist, das Vertrauensverhältnis zu durchbrechen. Diese Abwägung wird bereits von Polizeibehörden und der Staatsanwaltschaft sehr sorgfältig vorgenommen. In all diesen Fällen sind später massive öffentliche Auseinandersetzungen zu erwarten. Um so mehr wird die richterliche Kontrolle helfen, dies wirklich auf die schwerwiegendsten Fälle zu beschränken. Aber das ist keine Erfahrung der polizeilichen Alltagspraxis.

Ich hebe hervor: Auch die Behauptung, die Telefonüberwachung würde weit übergreifend angewandt, entspricht nicht der Realität. Ein Vergleich der Zahlen aus den USA und der Bundesrepublik kann hierfür nicht angeführt werden. Die Statistik in den USA geht davon aus, daß pro Kriminalfall eine Zählung registriert wird, während bei uns jeder einzelne Überwachungsantrag für eine Nummer gezählt wird, so daß beispielsweise in dem Kriminalfall "Aktion Goldfisch" bis zu 100 Anträge auf Telefax- und Telefonüberwachung liefen. Das würde in den USA nur als ein Fall gezählt. Wenn man das nicht in seine Überlegungen einbezöge, würde man die Realität völlig verkennen.

Meine Damen und Herren, die überwältigende Mehrheit der Bürger in unserem Land hat nicht Angst vor der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat, sondern sie fragt sich, ob die Polizei heute noch in der Lage ist, den Bürger vor den Verbrechern zu schützen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Mit den Maßnahmen, die wir heute beschließen und die, Herr Kollege Glogowski, hoffentlich in Kürze auch im Bundesrat beschlossen werden, erhalten wir unsere Bürgerrechte. Auch die Landesbehörden fühlen sich den Bürgerrechten in besonderer Weise verpflichtet. Die Bürgerrechte von möglichen Opfern müssen jedoch Vorrang vor den Bürgerrechten von Straftätern haben. Deshalb ist das Gesetz eine wichtige Maßnahme im Kampf gegen die Schwerkriminalität.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


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