Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt der Abgeordnete Fritz Rudolf Körper, SPD.

Fritz Rudolf Körper (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Im Vorfeld der Beratungen zur elektronischen Überwachung habe ich gemeinsam mit dem Kollegen Beckstein eine Diskusson bei einem Rundfunksender geführt. Bürgerinnen und Bürger konnten dazu beim Sender anrufen. Ich als jüngerer Abgeordneter, der weit im Westen geboren wurde, war darüber überrascht, daß es erstens zahlreiche Anrufer gegeben hat und diese zweitens fast ausschließlich aus den neuen Bundesländern kamen. Die Anrufer aus den neuen Bundesländern hatten praktische Erfahrungen damit abgehört zu werden.

Weil man für einen demokratischen Rechtsstaat werben muß, bin ich sehr dankbar dafür, daß wir heute nach langen und guten Beratungen ein sorgfältiges, aber auch ein rechtsstaatlich einwandfreies Ergebnis auf den Tisch legen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, wie groß der Regelungsbedarf war, geht daraus hervor, daß es beispielsweise ein BGH-Urteil gibt, das für Fachleute sehr interessant ist. Denjenigen, die in dem Thema nicht so sehr drin sind, muß man das erklären: Das BGH-Urteil hat zum Inhalt, daß präventiv gewonnene Erkenntnisse -- immer unter der Voraussetzung, daß sie polizeirechtlich rechtmäßig gewonnen wurden -- in ein Strafverfahren eingeführt werden können. Das hat Fachleute dazu gebracht, den präventiven und den repressiven Bereich gemeinsam zu regeln. Dies war auch notwendig. Deswegen kann sich das Ergebnis sehen lassen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich bin sehr dankbar, daß man in der Debatte bisher nicht leichtfertig mit den Gefühlen der Menschen umgegangen ist. Zum Schluß dieser Diskussion kamen ja einige Innenpolitiker zu Wort, die wohlweislich ein bißchen der Annahme entgegengetreten sind, wir hätten es bei dieser Thematik ausschließlich mit juristischen Fragen zu tun. In der öffentlichen Diskussion ist leider zu kurz gekommen, daß es in erster Linie um die Frage geht, wie man organisierte Kriminalität wirksam bekämpfen kann.

Organisierte Kriminalität ist nicht ein abstraktes Etwas, das uns nicht betrifft.

(Glocke der Präsidentin)

-- Danke! Es ist schwer, Frau Präsidentin, das ist richtig.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir waren bisher so diszipliniert. Ich bitte doch um ein bißchen Aufmerksamkeit für die letzten beiden Redner.

Fritz Rudolf Körper (SPD): Ich gehe davon aus, daß Sie auch mich noch ertragen können.

Ich war gerade dabei, darauf hinzuweisen, welch enormen "Umsatz" die Kriminalität macht. Man schätzt die entsprechende Summe immerhin auf sage und schreibe 80 Milliarden DM allein in Deutschland. Noch eine Zahl: In den Jahren 1991 bis 1996 wurden jährlich zwischen 369 und 540 Verfahren wegen des Verdachts der organisierten Kriminalität neu eingeleitet. Die Zahl der Tatverdächtigen schwankte zwischen mehr als 5000 und mehr als 9000. Die Zahl der Straftaten belief sich auf bis zu 100 000. -- Auch diese Fakten muß man einfach zur Kenntnis nehmen.

(Norbert Geis (CDU/CSU): Jawohl, da hat er recht!)

Ein Markenzeichen der organisierten Kriminalität ist der Hang zur Gewaltbereitschaft. Gewaltbereitschaft verhindert Zeugenaussagen. Wer will noch klagen, wenn spätestens die Vollstreckung einer Entscheidung mit Gewalt beantwortet wird? Einer solchen Entwicklung muß unseres Erachtens Einhalt geboten werden.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Verbrechen im Bereich organisierter Kriminalität sind keine Kavaliersdelikte. Es handelt sich hier um Bereiche wie Drogenkriminalität, Menschenhandel und Waffenhandel. Deren Opfer reichen bis tief in unsere Gesellschaft hinein. Die Betroffenheit darüber verhindert, daß organisiertes Verbrechen abstrakt bleibt.

Sicherheit ist kein Selbstzweck, sondern ein Teil der Qualität des Lebens in unserer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. Freiheit und innere Sicherheit sind keine Gegensätze. Vielmehr können sich Freiheitsrechte ohne innere Sicherheit nicht entfalten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])

Unter diesem Aspekt muß sich eine Gesellschaft fragen, wo sie handeln muß und was sie zu unterlassen hat. Deswegen ist die Linie, die nach diesem Verhandlungsergebnis vorliegt, richtig.

Ein Bestandteil ist die erleichterte Einziehung von illegal erworbenem Vermögen. Ich füge hinzu: Deutschland läuft Gefahr, zum Geldwäscheplatz Nummer eins in Europa zu werden. Auf diese Spitzenposition könnten wir eigentlich gut verzichten.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Norbert Geis [CDU/CSU] und Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.])

Deswegen muß organisierte Kriminalität an ihren Geldkreisläufen angepackt werden. Deswegen werden diese Vorschläge gemacht.

Meine Damen und Herren, der zweite Maßnahmenbereich ist die sogenannte akustische Überwachung. Ich werbe darum, die Begriffe "Lauschen" und "Lauschangriff" nicht zu verwenden, weil sie nach meinem Dafürhalten nicht sachgerecht sind.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

"Lauschen" hat nämlich etwas mit einem unerlaubten Hinhören zu tun, und das wollen wir eben nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der F.D.P. -- Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber das lassen Sie zu!)

Von einem bin ich zutiefst überzeugt: daß wirksame Kriminalitätsbekämpfung im Rahmen eines Rechtsstaates nur möglich ist, wenn der Staat und staatliches Handeln Anerkennung und Vertrauen finden. Deswegen hat es mich so entsetzt, daß ein Kollege, der ein ehemaliger Polizeibeamter ist, ein solches Staatsverständnis zum Ausdruck gebracht hat. Das hat mit unserer Realität nichts zu tun. Herr Such, ich fand das ganz schlimm, was Sie hier heute geäußert haben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Wir haben sehr sorgfältig darauf geachtet, daß beim Einsatz akustischer Überwachungsmaßnahmen das Verhältnismäßigkeitsprinzip gewahrt wird. Ich will nur einmal daran erinnern, daß wir dem vorgesehenen § 100 d Abs. 3 der Strafprozeßordnung einen zweiten Satz hinzugefügt haben, in dem die in der Diskussion stehenden Berufsgruppen angesprochen werden. So gilt das Verhältnismäßigkeitsprinzip auch dann, wenn zu erwarten ist, daß sämtliche aus der Maßnahme zu gewinnenden Erkenntnisse einem Verwertungsverbot unterliegen. Dort, wo Vertrauensverhältnisse vorhanden sind, werden sie auch geschützt. Ich denke, es ist gut, daß diese Lösung gefunden worden ist.

Meine Damen und Herren, akustische Überwachungsmaßnahmen werden mit Sicherheit verantwortungsbewußt angewandt werden müssen. Ich habe überhaupt keine Zweifel daran, daß dies so geschieht. Daß solche Maßnahmen nur ein Teil des Instrumentariums sind, wurde in der Diskussion deutlich. Es muß der Verdacht einer besonders schweren Straftat vorliegen, oder die Maßnahme ist im Sinne des Ultima-ratio-Prinzips erforderlich. Ich bin mit dem Bundesjustizminister einig, der in einem Zeitungsinterview gesagt hat, er ist sicher, daß sich diese Maßnahme nicht zur Konfektionsware entwickeln wird. Da kann ich ihm nur zustimmen; er beschreibt den richtigen Sachverhalt.

Herr Kollege Glogowski hat zu Recht auf das Thema Personal- und Sachkosten hingewiesen. Ich denke, das verleitet zur sorgfältigen Handhabung dieses Instruments. Das ist auch gut so.

Meine Damen und Herren, wir sollten eine Anwendung dieser Instrumente für eine innere Sicherheit ermöglichen, die Grundvoraussetzung für eine freiheitliche und demokratische Grundordnung ist. In Anbetracht der aktuellen Situation ist wichtig, daß wir Handlungsfähigkeit beweisen. Sie ist geboten.

Schönen Dank.

(Beifall bei der SPD)


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