Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile jetzt dem Innenminister des Landes Niedersachsen, Gerhard Glogowski, das Wort.

Minister Gerhard Glogowski (Niedersachsen): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es geht darum, eine Verbrechensart zu bekämpfen, die mit einer hohen Sozialschädlichkeit den einzelnen Bürger, aber auch den ganzen Staat in seiner freiheitlichen Existenz betreffen kann. Es gibt Länder in der Welt, die teilweise oder zur Gänze in den Händen der organisierten Kriminalität sind. Dies ist eine Kriminalitätsform, die darüber hinaus in den letzten Jahren zugenommen hat und die, Herr Kollege Kanther, von daher natürlich auch die Notwendigkeit einer Lösung verstärkt hat.

Wir haben also eine organisierte Kriminalität, die durch die Öffnung der Grenzen zum Osten in ganz besonderer Weise zusätzliche Nahrung bekommen hat und die darüber hinaus internationalisiert ist. Dies bedeutet, daß wir sie polizeilicherseits oder mittels der Strafverfolgungsbehörden international nur auf ähnlicher Rechtsgrundlage bekämpfen können. Es nützt nichts, wenn in einem Land bestimmte Maßnahmen getroffen werden. Wir müssen dies internationalisieren. Das ist eine Aufgabe, die wir in den nächsten Jahren noch vor uns haben; denn 70 Prozent derjenigen, die in der organisierten Kriminalität tätig sind, sind Ausländer. Dazu gehören auch Deutsche, die in anderen Ländern als Ausländer in der organisierten Kriminalität agieren. -- Wir haben es also mit einer hohen Sozialschädlichkeit zu tun.

Darüber hinaus handelt es sich um eine Organisationsform, die mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen ausgestattete Teilnehmer hat. Von daher ist das Mittel der elektronischen Beweissicherung eines, das hier funktioniert.

Sie haben vorhin die Frage angesprochen: Warum hatte man früher, als die Bedrohung durch die RAF bestand, nicht solche Mittel? Damals hatten wir es mit einer ganz anderen Kriminalitätsform und auch mit ganz anderen Teilnehmern zu tun. Dieses Mittel ist gerade deshalb möglich, weil viele mitwirken müssen, um die Verhinderung der illegalen Geldbeschaffung zu erreichen. Das ist ganz wichtig.

Die Debatte in der Öffentlichkeit und auch heute hier ist so geführt worden, als würden wir die Wohnraumüberwachung flächendeckend einführen. Diese Sorge ist nicht begründet. Sie ist deswegen nicht begründet, weil dies kein quantitatives, sondern ein qualitatives Mittel der Kriminalitätsbekämpfung ist. Es geht darum, besonders sozialschädliche Kriminalität zu bekämpfen. Von daher wird es immer nur in wenigen Bereichen eingesetzt werden, aber in Bereichen, in denen wir die Kriminalität anders nicht bekämpfen können.

Es ist also ein wesentliches Mittel, das aber nicht massenhaft eingesetzt wird. Das verbietet schon die Kostensituation und der Aufwand: Wenn wir das Telefon abhören, brauchen wir für eine Minute Aufzeichnung im Schnitt etwa drei Minuten für die Auswertung. Das heißt: Dies ist in erheblichem Maße personalintensiv. Von daher wird dieses Mittel nur sehr sparsam genutzt werden können.

Zugegebenermaßen wirft das Spannungsverhältnis zwischen den verdeckten Ermittlungsmethoden und den Zeugnisverweigerungsrechten unter rechtsdogmatischen Gesichtspunkten erhebliche Probleme auf. Das ist aber in der Auseinandersetzung mit der organisierten Kriminalität wegen der Anwendungshäufigkeit nur ein Randproblem. An Hand des schon seit Jahren zulässigen Bereichs der Wohnraumüberwachung zu Gefahrenabwehrzwecken läßt sich dies auch belegen. Wenn man sich in der Bundesrepublik Deutschland umhört, wieviel bisher in diesem zulässigen Bereich abgehört worden ist, dann erfährt man, daß dies nur in geringem Umfange geschehen ist. Zeugnisverweigerungsberechtigte sind kaum tangiert worden, in Niedersachsen überhaupt nicht. In Niedersachsen haben wir dieses Mittel seit 1994. In diesen dreieinhalb Jahren ist es nur einmal eingesetzt worden. Das heißt also, daß es auch in den nächsten Jahren sparsam eingesetzt werden wird.

Auf einer unlängst durchgeführten Tagung der Leiter der mobilen Einsatzkommandos aus allen norddeutschen Ländern sind die Fälle erörtert worden, bei denen die Wohnraumüberwachung hätte in Betracht kommen können. Wenn man eine solche Befugnis gehabt hätte, beliefe sich die Zahl solcher Fallgestaltungen für den Bereich Niedersachsen auf eine Handvoll. Bei dieser Handvoll handelt es sich aber um eine hohe Sozialschädlichkeit. Es sind also Fälle, die aufgeklärt werden müssen und die hätten aufgeklärt werden können, wenn es dieses Mittel gegeben hätte. Viele Menschen hätten vor Leid geschützt werden können. -- Ähnliche Schlußfolgerungen lassen sich aus der Rechtstatsachensammlung ableiten, die beim BKA eingerichtet worden ist.

Es gibt praktische Hindernisse für eine flächendeckende Anwendung der Wohnraumüberwachung. Darum sollten wir dies hier in seiner Funktion diskutieren und nicht über Gebühr aufbauschen.

Bei aller Relativierung bleibt allerdings festzustellen, daß wir den Interessengegensatz zwischen Zeugnisverweigerungsrechten und Strafverfolgungsnotwendigkeiten nicht auflösen können. Es ist natürlich klar, daß wir immer dann, wenn wir in ein Grundrecht eingreifen, ein Grundrecht verändern, andere tangieren. Es wird immer einen Abwägungsprozeß geben. Dieser ist allerdings in den Diskussionen und Verhandlungen vorgenommen worden.

Diejenigen, die in diesem Bereich eine absolute, jedem staatlichen Zugriff entzogene Schutzzone schaffen wollen, müssen eine Antwort auch darauf geben können, wie denn die Strafverfolgungsinteressen des Staates oder die Interessen potentieller Opfer zu bewerten sind, die dann notwendigerweise auf der Strecke bleiben werden. Das ist ja die Frage: Sind die Rechte der Opfer eigentlich geringer zu bewerten als die Rechte derjenigen, die wir nun einmal als Tatverdächtige zu bezeichnen haben? Es ist nun einmal so, daß auch die Berufsausübung nicht ungehindert sein kann, sondern Grenzen gesetzt bekommen muß. Wir müssen das Interesse auf ungehinderte Berufsausübung gegen die Opferinteressen abwägen. Ich sage: Dieser Staat tut gut daran, wenn er in einer solchen Debatte den Fragen der Opfer ebenfalls den notwendigen Raum gibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Es genügt nicht, eine an einem Absolutheitsanspruch ausgerichtete Prinzipiendiskussion zu führen. Prinzipien haben alle den gleichen Stellenwert und blockieren letztlich nur jede Debatte. Ein Interessenausgleich ist da nicht möglich. Dieser ist aber zwingend erforderlich. Auch wenn die Wohnraumüberwachung nur als letztes Mittel angewendet werden darf und daher auf ganz wenige Fälle beschränkt bleibt, muß sie möglich gemacht werden, damit unser Staat dieser Kriminalitätsform überhaupt ein Abwehrmittel entgegensetzen kann. Wer absolute Beweiserhebungsverbote für das gesamte Spektrum aller Zeugnisverweigerungsberechtigten fordert, muß dann auch die Garantie dafür geben können, daß dieses Recht nicht als staatlich garantierte Schutzzone für Schwerverbrecher mißbraucht werden kann. Diese Gefahr ist ganz deutlich gegeben.

Man muß sich einmal den Kreis der nach den §§ 52 und 53 a Strafprozeßordnung Berechtigten ansehen. Hierzu gehören Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Setzerlehrlinge, Zeitungsausträger, Hebammen. Auch die Funktion eines Verlobten ist auslegungsfähig. All dieses kann nicht geschützt werden. Ohne große Phantasie entwickeln zu müssen, kann ich doch sagen: Die Schaffung absoluter Beweiserhebungsverbote würde geradezu eine Handlungsanleitung dafür bieten, wie man seine Verbrechen am besten ungehindert von staatlichen Ermittlungen planen kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Staat hat hier eine Aufgabe. Wir haben die Debatte über die Unverletzlichkeit der Wohnung sehr grundsätzlich geführt. Die rechtsstaatlichen Regelungen, die hier dargestellt worden sind, sind so umfassend, daß ein Mißbrauch nach meiner Einschätzung kaum möglich sein wird. Auf jeden Fall ist festzuhalten: All diejenigen, denen jetzt Angst gemacht wird, sie könnten sozusagen in ihrem privaten Umfeld mit einer solchen Maßnahme belegt werden, werden niemals solche Ängste haben müssen. Das, was Herr Schily gesagt hat, will ich nachdrücklich unterstreichen. Aus der Praxis der Polizeien der Länder kann ich Ihnen nur sagen: Der einzelne Bürger wird davon letztlich nicht tangiert werden, weil es auf wenige Fälle beschränkt bleibt. Es werden solche Personen abgehört werden, die in der organisierten Kriminalität an Stellen arbeiten, von denen man sagen muß, daß es sich lohnen würde, wenn man sie abhört. Wir werden hier -- da bin ich ganz sicher -- auch zu einer entsprechenden Eingrenzung kommen. Wie gesagt, es ist ein qualitatives und kein quantitatives Mittel.

Es macht auch keinen Sinn, wenn der stark gestiegenen Schwerkriminalität im wesentlichen mit der Erhöhung des Strafrahmens begegnet werden soll. Rednern der Grünen, die hier entsprechende Vorschläge für Gesetze gemacht haben, entgegne ich: Wenn man den Spielraum für Ermittlungen selber einengt, dann nützen auch noch so gute Strafgesetze überhaupt nichts, weil wir an die Täter gar nicht herankommen und weil wir dann die Ermittlungsbehörden gar nicht in den Stand versetzen können, daß sie wirkungsvoll arbeiten können. An einem lediglich symbolischen Strafrecht kann jedoch letztlich niemand ein Interesse haben.

Ich möchte auf eines hinweisen, was in der Berichterstattung der Medien leider viel zu kurz gekommen ist: Die Wohnraumüberwachung ist nur ein Teil des Gesamtpaketes, in dem die beabsichtigten Maßnahmen zur Verbesserung der Gewinnabschöpfung nach meiner Auffassung und nach der meiner Kollegen den wesentlicheren und wichtigeren Teil ausmachen. Wir müssen in den Mittelpunkt der Diskussion das stellen -- es ist an den Rand gedrängt worden --, was an Zugeständnissen im Kompromißwege zwischen der Koalition und der Sozialdemokratie in der Frage erreicht wurde, wie man das Schmiermittel der organisierten Kriminalität, nämlich das Geld, treffen kann.

Nach neuem Recht erhalten die Finanzbehörden die für sie relevanten Erkenntnisse zum frühestmöglichen Zeitpunkt, nämlich schon bei der Einleitung des Strafverfahrens. Das hat nicht nur den Vorteil, daß in aller Regel noch besteuerbare Vermögenswerte vorhanden sind. Vielmehr verfügen die Finanzbehörden auch über einen speziellen Sachverstand und über ein weitreichendes Instrumentarium; es ist übrigens besser als das der Polizei. Das hat das Beispiel Amerika gezeigt. Al Capone ist auch von den Steuerbehörden zur Strecke gebracht worden. Auch in der Bundesrepublik Deutschland ist dieses Instrument ganz entscheidend. Der Informationsverbund zwischen Polizei und Steuerbehörden stellt aus meiner Sicht eine ganz wesentliche Komponente bei der Bekämpfung der Geldwäsche dar. Ich freue mich sehr, daß es nach hartnäckigen Verhandlungen gelungen ist, die Gegenseite davon zu überzeugen, daß hier entscheidende Schritte getan werden müssen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ein weiterer wesentlicher Fortschritt besteht darin, daß die Vermögenswerte leichter durch die Strafverfolgungsbehörden sichergestellt und länger festgehalten werden können. Zusätzlich hat die Innenministerkonferenz auf mein Betreiben hin eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die prüft, ob auf der Basis der Gefahrenabwehrrechte noch eine weitere Absenkung der Voraussetzungen für die Sicherstellung möglich ist. Es ist völlig klar: Geld in den Händen der organisierten Kriminalität ist eine Gefahr. Wir haben über die Gefahrenabwehrrechte die Möglichkeit, daß derjenige, bei dem das Geld sichergestellt wird, an der Beseitigung der Gefahr mitwirken muß -- anders als im Strafrecht. So haben wir eine andere wirkungsvolle Möglichkeit, die wir über die Gefahrenabwehrrechte der Länder verbessern können.

Wenn jetzt die Bankenaufsicht weiter verstärkt und die Steuerbehörden in ganz anderem Maße eingesetzt werden, wird der Druck, kriminelle Gelder in bar zu transportieren, erheblich wachsen. Wenn dann auch noch der Zoll sehr weitreichende Kontrollbefugnisse bis hin zur Anzeige- und Nachweispflicht der Betroffenen erhält, so haben wir, glaube ich, ein System von Maßnahmen zur Verfügung, das im Verbund deutlich erhöhte Wirkungen zeigen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dieses werden wir in den nächsten Jahren deutlich machen. In der Praxis wird sich die Debatte relativieren. Wichtig ist aber, daß die erforderlichen Mehrheiten im Bundestag und im Bundesrat erreicht werden; denn nur bei entsprechenden Mehrheiten werden wir in den Stand gesetzt, die organisierte Kriminalität wirkungsvoll zu bekämpfen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Auch im Bundesrat!)

-- Ich hatte gerade gesagt: im Bundesrat und im Bundestag, ansonsten nutzt es uns nichts. Wir wollen uns ja nicht Arbeit über einen langen Zeitraum machen, um dann an der entscheidenden Stelle nicht die entsprechenden Mehrheiten zu erhalten. Wir werden daran arbeiten müssen.

Der Grund, warum wir auch nach dem Parteitagsbeschluß von Hannover noch einmal verhandelt haben, war, daß hier noch zusätzliche Verabredungen getroffen werden sollten. Sie sind auch nach meiner Auffassung erreicht worden, so daß der Geist der Beschlüsse mit in die Verhandlungen eingebunden worden ist. Es war zugegebenermaßen ein Aufeinanderzugehen aller Seiten.

Weil wir alle wissen, daß es in der Verbrechensbekämpfung keinen Königsweg gibt, will ich deutlich machen, daß wir keine Wunderwaffe geschaffen haben.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das ist richtig!)

Wir haben aber das Machbare realisiert. Ich glaube, hier haben wir wirklich entscheidende Fortschritte erzielt. Das stimmt mich als Praktiker außerordentlich zuversichtlich. Wir haben die Instrumente des Staates geschärft. Ich denke, daß die Bürgerinnen und Bürger unseres Landes nunmehr mit größerem Respekt dem Staat gegenübertreten können, weil sie wissen, daß ihre Sorgen, Opfer einer Straftat zu werden, wahrgenommen und ernst genommen werden und daß der Staat nicht nur debattiert, sondern auch handelt. Das ist eine ganz wesentliche Aussage.

Ich bleibe bei meiner Einschätzung, daß der Tag der Realisierung des gesamten Maßnahmenbündels ein guter Tag für die rechtstreuen Bürgerinnen und Bürger in unserem Lande ist. Aber es ist ein schwarzer Tag für die Verbrecher in unserem Lande. Ich denke, es ist schön, daß wir daran mitwirken können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


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