Vizepräsidentin Michaela Geiger: Ich erteile das Wort jetzt dem Bundesminister des Innern, Manfred Kanther.

(Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der erste Liberale von zwei weiteren, die noch kommen!)

Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Es geht um die Bekämpfung der organisierten Kriminalität in unserem Land. Ich will einige Aspekte der Debatte aufgreifen.

Es geht um ein Kriminalitätsphänomen, das in den letzten zehn Jahren leider in gewaltiger Weise zugenommen hat: zahlenmäßig in bezug auf die Methoden und die Gruppen, die daran beteiligt sind. Die Zusammensetzung dieser Gruppen führte zu immer schwierigeren Ermittlungen. Neue Deliktsbereiche sind hinzugekommen, die wir vor zehn Jahren zum Teil kaum oder gar nicht kannten. Die Erträge wurden immer höher, die größere Aktivitäten in der Umwälzung dieser riesigen Gewinne ermöglichten. Das hat Auswirkungen auf das legale Geschäftsleben dort, wo illegales Geld eingesetzt wird.

Es geht um die Bekämpfung dieser neuen und verstärkten Form von Kriminalität. Jenseits aller feinen Juristerei, die gewiß wichtig ist, muß darauf hingewiesen werden, daß es die Aufgabe der Politik ist, die Bürger vor dieser Kriminalität zu schützen. Das ist eine Bringschuld des Staates.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deshalb halte ich es für falsch, in erhitzten Debatten Teilthemen in ihrer Bedeutung so zu überhöhen, daß sie zu Glaubensfragen werden.

(Beifall des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])

Es ist doch nicht wahr, verehrte Frau Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger, daß es bei der Abwägung zwischen Privatsphäre und der Frage von Leben und Tod letzte Refugien in Form von Wohnungen gebe. Herr Kollege Schily hat es doch ausgeführt. Es gibt doch im polizeilichen Bereich die Überwachung des Telefons aus einer Wohnung. Es gibt doch den verdeckten Ermittler in der Wohnung, der vor Gericht aussagen darf.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr wahr!)

Es gibt doch den ganzen vorbeugenden Bereich. Wie wollten wir denn einem Mitbürger den Umstand erklären, daß die Polizei von der Verabredung eines schweren Verbrechens in einer Wohnung zwar weiß, zuhören könnte, aber bei entsprechenden Regelungen nicht zuhören dürfte, und daß deshalb das schwere Verbrechen vielleicht geschieht. Es ist doch schlichtweg falsch, wenn nach jeder schwierigen Abwägung zwischen der Privatsphäre und dem Abhören der Wohnung die Wohnung grundsätzlich und unantastbar geschützt wäre.

Herr Kollege Bachmaier, wir haben doch vor einem Jahr -- ich weiß nicht, ob Sie zugestimmt haben -- mit der SPD der Neufassung des Bundeskriminalamtsgesetzes zugestimmt. Diese Neufassung enthält die Möglichkeit, daß das Bundeskriminalamt zum Schutz der eingesetzten Bediensteten im Wohnungsbereich präventiv tätig werden kann. Sie haben doch beispielsweise zugestimmt, für die Eigensicherung verdeckter Ermittler auch Möglichkeiten der visuellen Überwachung einzusetzen, von denen wir in der heutigen Debatte gar nicht reden. Diese Entscheidung ist erst ein Jahr alt. Sie ist richtig, weil durch sie die Abwägung zwischen dem Leben des Polizeibeamten, der in eine Wohnung hochverdächtiger Krimineller geschickt wird, dort sein Leben aufs Spiel setzt und deshalb eine minimale Absicherung braucht, und dem Schutz dieser Wohnung zugunsten der Abwendung der Gefahr für das Leben des Polizeibeamten entschieden worden ist.

Warum überhöhen wir eine solche Debatte so sehr? Warum sprechen wir von dieser Frage des Einsatzes technischer Mittel in Wohnungen ausschließlich so, als sei damit eine Schlüsselfrage für den Bestand des Rechtsstaates gestellt?

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Such?

Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Nein, das möchte ich jetzt nicht.

Vizepräsidentin Michaela Geiger: Gilt das für die ganze Rede?

Manfred Kanther, Bundesminister des Innern: Das werde ich im Einzelfall entscheiden. Im Augenblick möchte ich im Zusammenhang reden.

Es gilt doch etwas ganz anderes: Das Abhören von Wohnungen verdächtiger Gangster ist doch nur eine Maßnahme der Kriminalitätsbekämpfung. So wie wir das Verfahren ausgestaltet haben, ist es doch ein selten anzuwendendes und rechtlich sehr abgesichertes Verfahren. Jeder, der den Menschen vormacht, damit sei der Königsweg zur Kriminalitätsbekämpfung gefunden, erzählt ihnen doch die Unwahrheit.

In dieser sehr wichtigen Debatte wird aber über die Frage der wesentlichen Verschärfung der Geldwäschebekämpfung kaum gesprochen.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Leider!)

-- Leider kaum gesprochen. Die Debatte stellt doch die Tatsachen auf den Kopf.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD)

Die Verschärfung der Bestimmungen in bezug auf die Bekämpfung der Geldwäsche ist für die angewandte Praxis der Strafverfolgung wesentlich bedeutsamer als die Frage des Abhörens von Gangsterwohnungen.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Sehr richtig!)

Herr Kollege Bachmaier, Sie ziehen äußerste Grenzen beim Schutz der Wohnung. Aber auf dem gleichen Parteitag, auf den Sie sich beziehen, wurde zum Beispiel die Umkehr der Beweislast beschlossen. Ich sage Ihnen: Im System des Rechtsstaats wäre die Frage der Umkehr der Beweislast mit der Außerkraftsetzung der Unschuldsvermutung sehr viel weitergehender

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

als alles, was wir selbst bei einer großzügigen Handhabung des Abhörens von Wohnungen -- wir haben mit Recht eine eingeschränkte gewählt -- überhaupt tun könnten. Herr Bachmaier, Sie haben sich von diesem Aspekt richtigerweise abgewendet. Ich erkenne nicht alle Motivationen. Das braucht hier auch nicht ausgetragen zu werden. Ich glaube, vorherrschend ist die Einsicht der verantwortlichen sozialdemokratischen Rechtspolitiker, daß die Außerkraftsetzung der Unschuldsvermutung den Rechtsstaat so sehr im Kern treffen würde, daß das völlig undenkbar ist. Deshalb war das für mich immer unvorstellbar.

Daher ist so wichtig, was wir an guten, vom Kollegen Meyer dargestellten Möglichkeiten und Instrumentarien im Bereich der Geldwäschebekämpfung geschaffen haben, ganz neue Möglichkeiten auf der Basis der Erkenntnis, daß das geltende Recht, das wir vor fünf Jahren geschaffen haben, unzureichend ist. Das nenne ich zukunftsgewandte, richtige Kriminalpolitik. Zu einer wirkungsvollen Bekämpfung der Gefahren gehört auch, daß man sich, wenn es nötig ist, selbst korrigiert. Beim Thema Zeugnisverweigerung erinnere ich mich daran, daß vor fünf Jahren eine ähnliche Debatte geführt worden ist: Es ging damals um die Einbeziehung der rechts-, steuer- und wirtschaftsberatenden Berufe in den Bereich der Geldwäschebekämpfung.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Haben wir verhindert!)

Das war eine nicht gleiche, aber vergleichbare Debatte. Das mußte sein, sonst hätten wir die ganze Sache sein lassen können. Fünf Jahre später erweist sich: Die Vorschriften sind unzureichend und müssen nachgebessert werden. Das ist wirklich ein entscheidender Gesichtspunkt.

Warum laden wir soviel auf die Verfassung? Warum wird sie immer ausladender? Das ist nicht nur ein verfassungshygienischer Aspekt. Wir laden zum Beispiel mit der gefundenen Regelung zu den Zeugnisverweigerungsrechten, Verwendungs- und Verwertungsverboten auch massenhaft Text ins Gesetz. Ich trage die gefundene Regelung mit. Wir haben das über viele Stunden miteinander ausgetragen. Das war eine der glücklichen sachlichen Begegnungen in der Politik, für die ich mich bei den Sozialdemokraten besonders bedanke.

Das Mißtrauen gegen die Generalklauseln -- das kam auch hier wieder zum Ausdruck -- ist außerordentlich problematisch. Die Verfassung mit immer mehr Einzelheiten aufzuladen -- Art. 16 a, Art. 23, jetzt Art. 13 -- ist sehr problematisch. Was wir zu den Zeugnisverweigerungsrechten ins Gesetz geschrieben haben, mag dort stehen. Ich sage Ihnen: Zur materiellen Rechtslage, die heute gilt, ist nichts hinzugekommen, wenn man den Aspekt der Verhältnismäßigkeit als direkt geltendes Verfassungsrecht, ins Strafprozeßrecht wirkend, beachtet.

(Dieter Wiefelspütz [SPD]: Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu!)

Wo ist denn, Herr Kollege Hirsch, der Mißbrauch der heutigen Mittel, etwa beim Abhören von Gewerberäumen, das zulässig ist, oder im präventiven Bereich, wenn man auf Wohnungen zugreifen kann? Wo ist der Mißbrauch des Verwanzens -- ein unsägliches Wort, wie ich finde -- von Beichtstühlen? Wer kann denn ein Beispiel für die Wanze im Beichtstuhl nennen?

(Zuruf von der SPD: Kommt noch!)

-- Nein. Ich will jetzt nicht in einen Streit um Beichtstuhl als Wohnung oder nicht eintreten. Das ist jetzt gar nicht mein Gegenstand. Ich sage Ihnen: Es gibt doch gar nicht die Mißbrauchsfälle, die Sie befürchten.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So ist es!)

Was für eine sonderbare Haltung, ein Gesetz mit solchem Mißtrauen zu überziehen, dessen Einhaltung einer besonders ausgewählten Strafkammer mit drei Berufsrichtern übertragen wird!

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Warum nicht gleich ein generelles Mißtrauen gegen das Judiz einer solchen Strafkammer? Warum nicht die Befürchtung, daß unsere Justiz generell, wenn sie mit drei Berufsrichtern antritt, Fehlurteile produziert, wenn das Mißtrauen einer Kammer gilt, die da Beschlüsse faßt? Nicht einmal bei drei Richtern kann man ausschließen, daß sie sich irgendwann einmal irren, wohl wahr. Aber warum überlassen wir denn beispielsweise die Inhaftierung eines Menschen -- für mich noch immer der schärfste Eingriff in die persönliche Freiheit -- mit Recht und auch aus Praktikabilitätsgründen am Samstagabend dem Einzelrichter? Warum ist die Inhaftierung eines Menschen weniger bedeutsam als das Abhören seiner Wohnung bei Verdacht auf eine schwere Straftat?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)

Meine Damen, meine Herren, achten wir doch um Gottes willen in dieser Debatte darauf, daß die Dimensionen nicht völlig verschwimmen.

Ein Weiteres: Zu der Geldwäschegesetzgebung, die wir heute verabschieden werden, wird etwas hinzutreten, was zu meinem Bedauern hier ebensowenig besprochen wird. Nach einem Jahrzehnt des Herumschaffens und einer unbefriedigenden Handhabung werden wir im Zusammenhang mit diesem Paket die Vorschriften über Einziehung und Verfall -- der Justizminister hat dafür, angelehnt an andere Rechtsordnungen, das Wort "Konfiskation" benutzt, was ich sehr gut finde -- neu ordnen.

(Beifall des Abg. Otto Schily [SPD])

Wir werden dafür sorgen, daß inkriminiert erworbenes Vermögen leichter eingezogen werden kann. Wir werden unseren Strafverfolgungsbehörden die Last dieser Arbeit zwingend aufbürden, weil wir gerade den Zugriff auf das kriminell erworbene Vermögen für entscheidend wichtig halten. Das gehört mit zu unserem Kompromiß.

Ich merke zwei Aspekte an. -- Damit nehme ich dem Kompromiß nichts von seiner Bedeutsamkeit und Ihnen, Herr Kollege Schily und anderen, nichts von Ihrer Bemühtheit. -- Erstens. Dieses Ergebnis kommt zustande, nachdem wir als Unionsparteien seit sieben Jahren dafür ringen. Fünf Jahre haben wir bis zum Asylkompromiß gebraucht. Ich sage Ihnen: Angesichts der Gefährdungslage der Republik, was Straftaten angeht, sind diese epischen Fristen für die Zukunft unbrauchbar.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Aus diesem Vorgang sollte etwas gelernt werden. Was wir jetzt erarbeitet haben, hätten wir auch vor sieben Jahren in juristischer Hinsicht und in der Intensität der Aussprache miteinander anstellen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dann wären wir vor sieben Jahren mit Sicherheit zu der gleichen Lösung gekommen. Ich akzeptiere, daß es Auseinandersetzungen um solche Fragen gibt. Aber die -- jedenfalls von einigen -- selbst bewilligten Fristen sind nicht erträglich.

Zweitens. Ich hoffe, daß dieses Gesetz, die Verfassungsänderung, hier die notwendige große Mehrheit erhält. Aber sie muß sie auch im Bundesrat erhalten. Ich möchte deshalb die Bitte an die Kollegen von der SPD richten, es mit der Abstimmung hier nicht sein Bewenden haben zu lassen. Es kann nicht sein, daß unter Berufung auf grünrote Landesregierungen und Stimmenthaltungen ohne weiteres eine Freizeichnung von der weiteren Behandlung des Themas im Bundesrat stattfindet.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist ein wichtiger Prüfstein für die innere Sicherheit. Die Frage ist von einer solchen Bedeutsamkeit, daß nicht unter dem Gesichtspunkt landläufiger Enthaltungsklauseln in Koalitionsverträgen aus einer solchen Debatte opportunistisch ausgestiegen werden kann.

(Wolf-Michael Catenhusen [SPD]: Das machen Sie doch mit der F.D.P. hier ständig!)

Deshalb fordere ich Sie als Partei auf, auch im Bundesrat dafür Sorge zu tragen, daß eine Mehrheit für die Verfassungsänderung gesichert ist.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der F.D.P.)


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