Vizepräsidentin Michaela Geiger: Das Wort hat jetzt die Abgeordnete Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, F.D.P.-Fraktion.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bundestagsfraktion der F.D.P. hat mir Redezeit eingeräumt, um für jene Minderheit der Fraktion sprechen zu können, die den heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwürfen nicht zustimmen wird.

Die Gründe für dieses Abstimmungsverhalten meiner Kollegen und Kolleginnen sind unterschiedlich. Aber keinem kann die Ernsthaftigkeit, gegen organisierte Kriminalität vorzugehen, abgesprochen werden.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Das sagen Sie immer, aber immer sagen Sie nein!)

-- Herr Marschewski, wir haben nie "immer nein" gesagt. Wenn Sie sich ansehen, was mit den Kollegen und Kolleginnen der F.D.P.-Bundestagsfraktion in den letzten Legislaturperioden beschlossen worden ist, dann wissen Sie, daß dieser Vorwurf nicht zutrifft.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. -- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten (CDU/CSU): Sie haben zuviel nein gesagt!)

-- Ich bewerte Ihren Zwischenruf als eine Frage, so daß er nicht auf meine Redezeit angerechnet wird.

(Heiterkeit)

Trotz der seit Jahren hin und wieder aufflammenden Debatten um den Lauschangriff beginnt die Öffentlichkeit in ihrer ganzen Breite, erst jetzt zu verstehen, daß wir heute eben nicht über irgendein, sondern über ein ganz bestimmtes Gesetz befinden, das die konstitutiven Grundlagen unserer freiheitlichen Ordnung nachhaltig beeinträchtigen wird.

(Jürgen Koppelin [F.D.P.]: Leider wahr!)

Zu Recht befürchtet man, daß die vage Eingrenzung des vom Lauschangriff potentiell betroffenen Personenkreises über kurz oder lang nicht nur zu einer deutlichen Ausweitung der Abhörpraxis führen wird -- das bestätigen die Ergebnisse der Telefonüberwachungen --, sondern auch mit einer massiven Beeinträchtigung der zwischenmenschlichen Vertrauensverhältnisse und des Vertrauens des Bürgers in den Staat einhergeht.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Erstens wird deutlich, daß es eben nicht nur die Gangster sind, die mit dem Abhören ihres privat gesprochenen Wortes zu rechnen haben. Jetzt wird deutlich, daß es überhaupt nicht die Gangster, sondern allenfalls unter der Unschuldsvermutung stehende Beschuldigte sind, die Zielpersonen des Lauschangriffs werden können -- Beschuldigte, die zudem nicht unter dringendem Tatverdacht, sondern lediglich unter Anfangsverdacht stehen müssen, eine Straftat begangen zu haben.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Es ist etwas mehr als Anfangsverdacht!)

Auch wird deutlich, daß es nicht nur deren Wohnungen, sondern auch die Wohnungen eines prinzipiell unbegrenzten Kreises unbeteiligter Menschen sind, in die zum Zwecke des Belauschens heimlich eingedrungen wird.

Nicht zuletzt wird jetzt jedem deutlich, daß eben nicht nur die Gespräche des Beschuldigten abgehört werden, sondern potentiell alle Gespräche, die -- unabhängig von der Anwesenheit der eigentlichen Zielperson -- in den belauschten Wohnungen, von wem auch immer, geführt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweitens stellt sich heraus, daß es nicht nur die organisierte Kriminalität ist, gegen die sich der Lauschangriff richtet. Der Begriff der organisierten Kriminalität, der jahrelang zur Begründung dieses Eingriffs in die Grundrechte gedient hat, ist -- außer in der Überschrift --, in den Gesetzestexten und im Straftatenkatalog in keiner Weise zu finden. Ohne die Beschränkung auf organisiert begangene Kriminalität wird der Lauschangriff zu einem Standardinstrument der Strafverfolgung,

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P., der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

zumal er bei Straftaten auch jetzt schon auf der Grundlage eines umfänglichen Katalogs angewandt und einfachgesetzlich beliebig ausgeweitet werden kann.

Kurzum: Aus all dem wird deutlich, daß es jeden treffen kann, auch solche Personen, die aus beruflichen und guten -- rechtsstaatlichen -- Gründen verpflichtet sind, ihre beruflich erlangten Informationen vertraulich zu behandeln, also Personen, deren zum Schutz des Vertrauensverhältnisses gewährte Zeugnisverweigerungsrechte weder geschmälert noch unterlaufen werden sollten.

Das ist einer der Gründe, weshalb viele Kollegen und Kolleginnen, für die ich hier sprechen kann, diesem vorgelegten Verhandlungsergebnis nicht zustimmen werden. Sie wollen politisch nicht, daß es diese inkonsequente Trennung von Personen in diesem Bereich gibt: Die einen dürfen grundsätzlich nicht abgehört werden, und bei den anderen läuft es letztendlich auf die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes hinaus.

Es geht hier nicht um eine Frage der Quantität, Herr Geis. Dieses Verhandlungsergebnis zeigt vielmehr, wohin diese Entwicklung führt: daß bei Abwägungen, wenn man diese Richtung einmal eingeschlagen hat, im Zweifel immer zugunsten von mehr Möglichkeiten für den Staat entschieden wird.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Warum sind Sie nicht für Differenzierung, Frau Kollegin?)

Wir wollen nicht, daß das so kommt. Das ist einer der Hauptgründe, weshalb meine Kollegen und Kolleginnen -- ich bin von ihnen ausdrücklich darum gebeten worden, das zu sagen -- nicht zustimmen können.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)

Aber über diese Kritik an den einzelnen Ausgestaltungselementen der Gesetzentwürfe hinaus werden einige Kollegen und Kolleginnen -- dazu gehört Bundestagsvizepräsident Hirsch -- wegen grundsätzlicher Bedenken mit Nein stimmen. Wir sind der Ansicht -- in diesem Punkt mit dem Präsidenten des BGH --, daß mit dem großen Lauschangriff ein weiterer verhängnisvoller Schritt zur Umdeutung der Grundrechte getan wird,

(Otto Schily [SPD]: Das hat er so nicht gesagt!)

Umdeutung dahin, daß Schutzpflichten des Staates -- und damit korrespondierende Schutzrechte des Bürgers -- zwangsläufig zu immer weiteren Eingriffen in Grundrechte führen müssen. Wenn die Ansprüche der Bürger auf Einschreiten des Staates vorrangig sind, dann wird das zwangsläufig zu Einschränkungen der Grundrechte führen.

Wir wollen in diesem Spannungsfeld, daß bei der Abwägung die Abwehrrechte Vorrang haben. Das ist modern und nicht nostalgisch. Mit dem Bundesverfassungsgericht wollen wir, daß die Würde des Menschen einen unantastbaren, letztendlich jeder öffentlichen Einwirkung entzogenen Bereich hat. Der Mensch braucht eine Ecke, wo er in Ruhe gelassen wird. Deshalb stimmen wir aus unterschiedlichen Gründen diesen Gesetzentwürfen nicht zu.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der F.D.P. und der SPD sowie beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der PDS)


zurueck home weiter
HTML-Umsetzung: Alexander Koch (ak@laWWW.de)