Präsidentin Dr. Rita Süssmuth: Ich rufe den nächsten Redner auf, den Kollegen Hermann Bachmaier.

Hermann Bachmaier (SPD): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wie Ihnen bekannt ist, spreche ich als Vertreter der Mitglieder der SPD-Fraktion, die eine Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes und die entsprechenden Folgeänderungen der Strafprozeßordnung ablehnen

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist sehr traurig!)

und diesem Gesetz nicht zustimmen. Im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen gebe ich nachher bei der Abstimmung zusammen mit dem Kollegen Kuhlwein eine Erklärung zur Abstimmung zu Protokoll, der entsprechende Unterschriftenlisten angefügt sind.

Verfassungsfragen sind, insbesondere dann, wenn sie mit Eingriffen in zentrale Grundrechte verbunden sind, Gewissensfragen. Wir sind gut beraten, wenn wir die Entscheidung über diese Fragen nicht unter den Gesichtspunkten tagespolitischer Opportunität treffen. Dies ist die Grundhaltung, unter der wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten heute, ob wir der Verfassungsänderung zustimmen oder nicht, unsere Entscheidung treffen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Diese Entscheidung haben wir uns wahrlich nicht leichtgemacht. Auf zwei Bundesparteitagen, zuletzt vor wenigen Wochen in Hannover, und in vielen Fraktionssitzungen haben wir uns intensiv mit den heute zu treffenden Entscheidungen beschäftigt.

Diejenigen von uns, die eine Änderung des Art. 13 ablehnen, tun dies aus unterschiedlichen Gründen. Dabei sollte niemand den Versuch unternehmen, uns mangelnde Entschlossenheit im Kampf gegen die Kriminalität vorzuwerfen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD -- Erwin Marschewski [CDU/CSU]: So sieht es aber aus!)

Ein entschlossener Kampf auch gegen die organisierte Kriminalität läßt sich sehr wohl mit den tragenden Grundprinzipien und Freiheitsrechten unserer Verfassung in Einklang bringen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der F.D.P. und der PDS)

Der Schutz der Privatsphäre gehört zum Kernbestand unserer Freiheitsrechte. Deshalb lehnen viele von uns über die heute schon möglichen Eingriffe hinausgehende Einschnitte in den Art. 13 grundsätzlich ab. Dabei haben mir manche mit auf den Weg gegeben, daß für sie auch -- wie könnte dies im vereinten Deutschland anders sein -- leidvolle eigene Erfahrungen eine nicht unbedeutetende Rolle spielen.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber das war in einem Unrechtsstaat!)

Andere wiederum, die lange um eine richtige Entscheidung gerungen haben, wären bereit gewesen, einer Verfassungsänderung dann näherzutreten, wenn die Eingriffe, wie sie jetzt in der Neufassung des Art. 13 vorgesehen sind, verfassungsrechtlich so eingegrenzt worden wären, daß sie absolute Ausnahmefälle in extremen Situationen blieben. Von zentraler Bedeutung war dabei immer der Schutz außerordentlich vieler Menschen, die durch diese Ermittlungsinstrumente als völlig Unbeteiligte oder weil sie ihren zum Teil schwierigen Berufsaufgaben nachgehen, in Mitleidenschaft gezogen werden.

Deshalb wollten wir einen umfassenden Schutz der Personen, die nach den Regeln der Strafprozeßordnung ein Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht haben und sich zu einem großen Teil sogar strafbar machen, wenn sie die ihnen obliegende Schweigepflicht verletzen. Diesen Personen sollte, wenn sie nicht selbst tatverdächtig sind, für ihre unter absolutem Vertrauensschutz stehenden Gespräche Vertraulichkeit verfassungsfest zugesichert werden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der F.D.P. und der PDS)

Meine Damen und Herren, die jetzt gefundene Zweiteilung in schutzwürdige und weniger schutzwürdige Gespräche ist äußerst verhängnisvoll und kann von uns keinesfalls akzeptiert werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es geht nicht an, daß zwar Geistliche, Strafverteidiger und Abgeordnete für die von ihnen zu führenden Gespräche einen absoluten Abhörschutz genießen, man aber in Zukunft bei vertraulichen Gesprächen im engsten Familienkreis, im Arzt-Patienten-Verhältnis, im gesamten Beratungs- und Therapiebereich sowie im Journalisten-Informanten-Bereich nicht mehr sicher sein kann, da auch die geschützten Gespräche zunächst einmal abgehört werden können, auch wenn die Betroffenen selbst unter keinerlei Verdacht stehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS -- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber doch nur, wenn Tatverdacht vorliegt!)

Sie können nur darauf hoffen, daß das zur Entscheidung befugte Gericht den aufgezeichneten Inhalt nicht zur weiteren Verwertung zuläßt. Dies ist ein schwacher Trost. Dies hat eine verheerende Wirkung auf den Vertrauensschutz der Gespräche, die in höchst sensiblen Bereichen -- denken wir nur an Therapieverhältnisse oder Suchtberatungen -- geführt werden.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Aber doch nur, wenn ein Verbrechen vorliegt!)

Diese Gespräche brauchen ebenso wie die abhörsicher ausgestalteten privilegierten Gespräche von Geistlichen, Strafverteidigern und Abgeordneten absoluten Vertrauensschutz zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Gespräche geführt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der F.D.P. und der PDS -- Zuruf des Abg. Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU])

-- Lassen Sie doch Ihre wegelagernden Äußerungen sein, Herr Dr. von Stetten. Das können wir miteinander im Wahlkreis aushandeln. Jeder merkt doch, welche Geschäfte Sie hier betreiben.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -- Joseph Fischer [Frankfurt] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein später Nachfahre einer organisierten kriminellen Bande! Raubritter seid ihr! Wegelagerer!)

Nur dann, wenn dieser absolute Vertrauensschutz gewährleistet ist, kann erwartet werden, daß sich rat- oder hilfesuchende Menschen ihren Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartnern rückhaltlos offenbaren. Erst dann können Gespräche mit Vertrauenspersonen ihre heilsame und häufig auch befriedende Wirkung entfalten. Es nützt nichts, aber auch gar nichts, wenn diese Gespräche zwar zunächst abgehört und aufgezeichnet werden können, über ihre Verwertung aber erst später von einer Staatsschutzkammer in den jeweiligen Oberlandesgerichtsbezirken nach Gesichtspunkten der Güterabwägung entschieden wird.

Dieser Schutz hätte für alle Formen des Einsatzes technischer Mittel in der Verfassung festgeschrieben werden müssen, nachdem der Lauschangriff durch die vorgesehene Verfassungsänderung als normales Strafverfolgungsinstrument installiert werden soll und dadurch die seit Jahren sukzessiv eingeführten verdeckten Strafverfolgungsinstrumente eine neue grundrechtsrelevante Qualität erhalten sollen.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Um die Verbrecher zu bekämpfen, Herr Bachmaier!)

Aber auch über die mangelnde Absicherung der Personen hinaus, die für ihre höchst sensiblen Gespräche absoluten Vertrauensschutz genießen, weist der Gesetzentwurf gravierende und für uns inakzeptable Mängel auf. Der Straftatenkatalog ist nach wie vor viel zu weit und ausufernd gefaßt. Nach der jetzt vorgesehenen Fassung des Grundgesetzes darf der Lauschangriff nicht nur als denkbar letztes Mittel bei der Strafverfolgung eingesetzt werden. Der präventive polizeiliche Lausch- und Spähangriff wird eben nicht strikt auf die Abwehr einer gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr begrenzt. Vielmehr wird man nach der jetzt gefundenen Lösung die Landespolizeigesetze kaum substantiell ändern müssen.

Unserer Forderung, die Zuständigkeit für die Einsetzung und Kontrolle des Lauschangriffes einem Vorsitzendensenat der Oberlandesgerichte zu übertragen, wurde ebenfalls nicht entsprochen, obwohl die besondere Nähe des Schutzes der Privatsphäre zum Schutz der Menschenwürde in Art. 1 des Grundgesetzes eine derartig hochangesiedelte Kompetenz geboten hätte.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das entspricht doch nicht der Praxis!)

Eine umfassende richterliche Verlaufskontrolle findet nicht statt, lediglich eine richterliche Sichtung und Bewertung der aufgezeichneten Gespräche der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, die an und für sich überhaupt nicht abgehört und aufgezeichnet werden dürften.

(Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist Unfug!)

Auch der neugeschaffene Art. 13 Abs. 5, der die Verwendung technischer Mittel zum Schutz der im Einsatz tätigen Personen regelt, ist außerordentlich konturenlos und weit gefaßt und könnte so zu einem gefährlichen Einfallstor weitreichender und in großem Umfang verwertbarer Lausch- und Videoaufnahmen führen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD -- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Wir leben in einem Rechtsstaat, Herr Bachmaier!)

Meine Damen und Herren, wie auch ein kürzlich veröffentlichtes Interview des Generalbundesanwaltes zeigt, ist der Nutzen dieser Eingriffsinstrumente zu Lasten des bestehenden grundrechtlichen Schutzes der Privatsphäre nach wie vor umstritten. Es ist sehr fraglich, ob man mit diesen neugeschaffenen Strafverfolgungsinstrumenten tatsächlich entscheidende Erfolge im Kampf gegen das organisierte Verbrechen erzielen wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.] -- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das werden wir ja sehen!)

Die Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen, daß eine Vielzahl völlig unbeteiligter und völlig unschuldiger Menschen in Mitleidenschaft gezogen wird, während sich die hochprofessionell agierenden Köpfe des organisierten Verbrechens durch technische und andere Maßnahmen wirkungsvoll vor diesem Zugriff schützen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS sowie der Abg. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger [F.D.P.])

Abschließend, meine Damen und Herren: Wir sollten den Satz von Hans-Jochen Vogel beherzigen, daß vom Staat auch bei der Bekämpfung von Verbrechen äußerste Grenzen nicht überschritten werden dürfen. Hier kommen wir diesen Grenzen gefährlich nahe. Ich meine, die Kontrollen sind zu schwach, so daß die Gefahr besteht, daß die Grenzen überschritten werden.

Ich danke Ihnen für Ihre etwas geteilte Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der PDS -- Dr. Wolfgang Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Jawohl, so ist es!)


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