zur Abstimmung über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 13 GG) (elektronische Wohnraumüberwachung) sowie über den Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität (Tagesordnungspunkt 14 a und b)
Hildebrecht Braun (Augsburg) (F.D.P.): Ich werde der vorgeschlagenen Grundgesetzänderung nicht zustimmen und will dies kurz erläutern. Ich schicke voraus, daß ich auch das Einbringen von Abhörmitteln in Privatwohnungen in extremen Fällen für gerechtfertigt halte. Den zwischen Vertretern der Koalition und der SPD ausgehandelten Kompromiß werde ich allerdings nicht mittragen:
1. Je gravierender der staatliche Eingriff, desto höher die rechtsstaatliche Hürde! Dieser Grundsatz kann nur bedeuten, daß einfacher Tatverdacht nicht ausreichen kann.
Der Einbruch in die Privatwohnung mit der Installation von Abhörgeräten im Auftrag des Staates ist wohl unter allen Ermittlungsmaßnahmen der stärkste Eingriff in die Rechte des Bürgers, der in einem Gesetz sanktioniert werden soll.
Der Kompromiß mit der Koalition will schon bei einfachem Tatverdacht einer besonders schweren Tat den Eingriff zulassen. Einfacher Tatverdacht könnte bereits auf Grund sehr vager Überlegungen zustande kommen. So mag der Nachbar X mehrfach in Sizilien im Urlaub gewesen sein. Bekanntlich ordnet man die Mafia der Region Sizilien in besonderem Maße zu. Verbindungen zur Mafia werden für möglich gehalten. Soll in einem solchen Fall bereits der Lauschangriff möglich sein?
2. Es wird schon jetzt zuviel abgehört. Wollte man in einem nachvollziehbaren Bereich zusätzliche Abhörmöglichkeiten schaffen, so wäre es besonders naheliegend, Abhörmöglichkeiten wieder rückgängig zu machen, die über das notwendige und rechtfertigbare Maß hinausgehen.
Die Pauschalermächtigung für den Bundesnachrichtendienst nach Art. 13 Verbrechensbekämpfungsgesetz zum Belauschen von Auslandstelefonaten müßte jedenfalls eingeschränkt bzw. zeitlich befristet werden. Nach dieser Bestimmung darf der BND Auslandstelefonate und Auslandsfaxe aller Bürger, also der großen Mehrheit völlig unverdächtiger und unbescholtener Telefonbenutzer, mit technischen Mitteln belauschen. Er gibt Suchworte ein, z. B. "Schnee" als Fachausdruck für Kokain, bei deren Gebrauch sich Aufzeichnungsgeräte automatisch einschalten. Das daraufhin gefertigte Protokoll kann nach dieser gesetzlichen Bestimmung ohne jede richterliche Kontrolle an die Staatsanwaltschaft, etc. gegeben werden.
Diese Ermächtigung zur Überwachung von uns allen, also von Bürgern mit Zeugnisverweigerungsrecht wie Rechtsanwälten, Abgeordneten, Ärzten, Pfarrern etc., ebenso wie von Bürgern ohne ein solches Recht mag im Telefonverkehr mit Staaten wie dem Iran, Irak und Libyen gegenwärtig gerechtfertigt sein, da von diesen Staaten besondere Gefahren ausgehen. Meine Gespräche mit der Tante in Stockholm, dem Geschäftspartner in New York, dem Freund in Rio oder dem Bruder in Tokio müssen aber für den Staat tabu sein. Sonst läuft das Fernmeldegeheimnis des Art. 10 GG völlig leer. Weswegen soll ein innerdeutsches Ortsgespräch einen höheren Schutz vor staatlichem Abhören genießen als mein Telefonat mit Wien, Rom oder Melbourne?
3. Nicht hinnehmbar erscheint die vorgesehene Regelung, wonach Belauschte nicht über den erfolgten Eingriff in die Unverletzlichkeit seiner Wohnung informiert werden sollen, auch wenn sich der Verdacht auf strafbare Handlungen nicht bestätigt haben sollte.
4. Der Kompromiß schützt die Berufe der Ärzte, Anwälte, Steuerberater etc. nicht ausreichend. Der Anwalt, dem für die strafrechtliche Verteidigung noch kein Mandat übertragen wurde -- möglicherweise, weil der Beschuldigte noch gar nicht weiß, daß gegen ihn Ermittlungen laufen --, kann nicht anders behandelt werden als der mandatierte Strafverteidiger. Auch Ärzte und Psychotherapeuten müssen ihrem Klienten gegenüber sicherstellen können, daß von dem Gespräch zwischen Arzt und Klient nichts nach außen dringt. Andernfalls werden Sachverhalte nicht mitgeteilt, die für das therapeutische Gespräch unverzichtbar sind.
Ich habe wenig Verständnis dafür, daß sich die politische Diskussion im Parlament über Gebühr darauf konzentriert hat, ob Richter des Landgerichts oder des Oberlandesgerichts, ob ein oder drei Richter und wenn ja, welche den Lauschangriff bestätigen müssen. Viel wesentlicher wäre es, sich darüber Klarheit zu verschaffen, in welchen Fällen ein Lauschangriff überhaupt stattfinden können soll und wann er eben ausgeschlossen sein muß.
Freimut Duve (SPD): Nach sorgfältiger Prüfung bin ich zu dem Schluß gekommen, daß ich diesem sehr durchdachten und verbesserten Beschluß einer Grundgesetzänderung aus meiner persönlichen Berufserfahrung als Journalist und Publizist nicht zustimmen kann: Die möglichen Formen der Überwachung von journalistischer Arbeit können zu einer vom Verfassungsgericht abgelehnten Beeinträchtigung dieser Arbeit führen. Sowohl das Zeugnisverweigerungsrecht der Journalisten wie die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit ist nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichtes eine notwendige Bedingung einer freien Presse.
Dr. Burkhard Hirsch (F.D.P.): Den Gesetzentwürfen zur Einführung des sogenannten "großen Lauschangriffs", d. h. zum heimischen Belauschen von Gesprächen in einer Wohnung, ohne daß das zur Abwehr einer konkreten Gefahr für Leib und Leben eines Menschen unausweichlich ist, kann ich nicht zustimmen.
Der Gesetzentwurf zerstört eine wesentliche Grundlage freier Gesellschaften: das Vertrauen auf einen letzten privaten Bereich, in dem man ohne staatliche Überwachung mit einem Menschen seines persönlichen Vertrauens sprechen und sich von ihm in der Überzeugung anvertrauen kann, daß das gesprochene Wort "in diesen vier Wänden" bleibt. Wir brauchen in Deutschland nicht darüber zu streiten, wie wichtig dieses Vertrauen ist.
Mag das heimliche Einbrechen in eine Wohnung und das Belauschen der Gespräche oft stattfinden oder nicht, es kann doch jedes einzelne Gespräch betreffen, in dem sich jemand im engsten Familienkreis oder seinem Arzt oder seinem Anwalt offenbaren will. Die immer wieder aufgestellte Behauptung, es treffe nur "Verbrecher- oder Gangsterwohnungen", ist eine arglistige Täuschung. Jeder Bürger kann betroffen sein.
Es sollen Richter über den Lauschangriff, den Einbruch in engste Vertrauensverhältnisse und über die Verwertung der dabei erlangten Kenntnisse entscheiden. Aber an diesem Verfahren ist niemand sonst beteiligt als die Behörde, die den Lauschangriff erwirken will.
Art. 13 des GG wird in seiner beabsichtigten Form nicht einmal mehr einen Mißbrauch verhindern können: Er erlaubt schon bei einem Anfangsverdacht die Überwachung jeder Wohnung, in der sich eine verdächtige Person vermutlich aufhält, er überläßt die Dauer der Überwachung und ihren Anlaß der einfachen Mehrheit des Gesetzgebers.
Das Gesetz erlaubt auch die Überwachung des Vieraugengesprächs eines Ehepaares, es sei denn, daß sie einen Geistlichen oder ihren Abgeordneten hinzugezogen haben. Das Gesetz erlaubt die Überwachung einer Redaktion, einer Arztpraxis, einer Anwaltskanzlei, einer Drogen- oder Familienberatungsstelle unter bestimmten Umständen. Es bleibt dann geheim tagenden Richtern überlassen zu entscheiden, ob das Erlauscht verwendet werden darf.
Art. 13 unserer Verfassung soll vollständig darüber schweigen, ob und wann der Betroffene, der Wohnungsinhaber oder irgendein Belauschter von dem Lauschangriff überhaupt informiert werden muß. Das vorgesehene Gesetz schreibt eine Benachrichtigung wenigstens des Betroffenen vor, aber sie kann um Jahre verschoben werden. Nach der vorgesehenen Regelung bleibt es möglich, daß zwar die Staatsanwaltschaft und das erkennende Gericht in der Hauptverhandlung die Überwachung und das Lauschprotokoll kennen, nicht aber der Angeklagte und der Verteidiger.
Diese Beschlüsse sind vom Rechtsausschuß am 14. Januar getroffen worden und sollen am 16. Januar vom Plenum verabschiedet werden. Dieses Verfahren ist ebenso unannehmbar wie seine Ergebnisse. Ich lehne sie in der Überzeugung ab, daß sie einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht nicht standhalten werden.
Frank Hofmann (Volkach) (SPD): Ich bin kein grundsätzlicher Gegner der akustischen Wohnraumüberwachung, halte ihn im Einzelfall für dringend geboten und sehe auch die verbesserten rechtsstaatlichen Sicherungen, die der zur Abstimmung gestellte Gesetzentwurf beinhaltet. Jedoch ist der Schutz der betroffenen Wohnungsinhaber nicht umfassend gewährleistet. So fehlt es bei Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 5 sowohl an der richterlichen Anordnung wie auch an Benachrichtigungs- und Berichtspflichten. Für den Wohnungsinhaber macht es keinen Unterschied, ob der Eingriff in das Grundrecht der Unverletztlichkeit seiner Wohnung aus Gründen der Gefahrenabwehr für Dritte, aus Gründen der Strafverfolgung oder zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgenommen wird. Dieser umfassende Grundrechtsschutz wird jedoch nicht gewährleistet.
Der Gefahrenabwehrbegriff ist zu weit gefaßt und enthält keine Eingrenzungen auf die konkrete und unmittelbar bevorstehende Gefahr. Präventive Lauschangriffe sind deshalb wie bisher möglich zur Erforschung von Gefahren und bei Gefahrenverdacht. Damit ist aus meiner Sicht der Lauschangriff nicht das letzte Mittel, sondern bereits im Vorfeld der konkreten Gefahr rechtlich zulässig. Ich sehe dies als Einfallstor für den Verfassungsschutz, wenn er, wie in Bayern, auch zur Beobachtung der Organisierten Kriminalität zuständig ist. Die mittelbare Folge wird eine Ausweitung der Telefonüberwachung beim Verfassungsschutz sein. Bisher hat der Verfassungsschutz, auch in Bayern, noch keine rechtliche Möglichkeit, Telefonüberwachungen bei der Beobachtung der Organisierten Kriminalität einzusetzen. Da dies jedoch ein minderschwerer Eingriff gegenüber einem präventiven Lauschangriff ist, wird er diese Ermächtigungsgrundlage in Zukunft einfordern.
Der weitere Ausbau des Bürgerschutzes wäre aus meiner Sicht bei der Änderung des Art. 13 GG möglich und notwendig, ohne daß dies die Verbrechensbekämpfung behindern würde. Deshalb kann ich der jetzigen Regelung nicht zustimmen und enthalte mich der Stimme.
Jürgen Koppelin (F.D.P.): Die Diskussion in den letzten Wochen vor der heutigen Abstimmung über den Lauschangriff hat gezeigt, daß es um mehr geht, als die Wohnung von mutmaßlichen Tätern des organisierten Verbrechens abzuhören. Es geht darum, ob der Staat in die bisher völlig geschützten Bereiche von Anwälten, Ärzten und Journalisten eingreifen darf.
Dem von Koalition und SPD verhandelten Kompromiß zum Lauschangriff werde ich in der jetzt vorliegenden Fassung nicht zustimmen.
Es ist nicht einzusehen, daß für Ärzte, Anwälte und Journalisten ein anderes Recht gelten soll als für Geistliche, Abgeordnete und Strafverteidiger.
Grundsätzlich müssen nach meinem Verständnis alle Berufsgruppen von der elektronischen Überwachung ausgenommen werden, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht. Ein Zweiklassenrecht halte ich für nicht akzeptabel. Der jetzt hierzu gefundene Kompromiß mit einer Differenzierung nach Berufsgruppen ist für mich nicht nachvollziehbar.
Vor meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag war ich als Journalist tätig. Ich kann nicht akzeptieren, daß für Journalisten ein anderes Recht gelten soll als für Seelsorger, Strafverteidiger und Parlamentarier.
Der jetzige Kompromiß gefährdet die Pressefreiheit und das Redaktionsgeheimnis. Beides sind unverletzliche Güter unserer freiheitlichen Rechtsordnung.
Es ist nicht zu billigen, daß bei einem Lauschangriff die engeren Angehörigen eines Journalisten, eines Arztes oder eines Anwaltes ebenfalls abgehört werden dürfen.
So berücksichtigt der zur Abstimmung anstehende Gesetzentwurf auch nicht im notwendigen Maße den Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen dem Mandanten und seinem Rechtsanwalt.
Der nunmehr vorliegende Gesetzentwurf unterscheidet in nicht sachgemäßer Weise zwischen Strafverteidiger und der gesamten anderen Anwaltschaft.
Das Vertrauensverhältnis des Bürgers zu seinem Rechtsanwalt, der nicht Strafverteidiger ist, ist schutzwürdig und schutzbedürftig. Ein bloßes Beweisverwertungsverbot kann nicht genügen; es setzt erst ein, wenn das schützenswerte Vertrauensverhältnis bereits verletzt ist.
Dem rechtssuchenden Bürger ist nicht zu vermitteln, daß bei der beabsichtigten Wohnraumüberwachung zwischen dem Strafverteidiger einerseits und der übrigen Anwaltschaft andererseits unterschiedliche Regelungen getroffen werden sollen. Einem Mandanten ist nicht zu erklären, daß die Vertraulichkeit auf allen Rechtsgebieten außerhalb des Strafverfahrens, wegen dessen gerade die Wohnraumüberwachung eingesetzt werden soll, nicht gewahrt werden soll.
Das Arztgeheimnis hat eine mehr als 2000 jährige Tradition und findet sich heute noch an herausragender Stelle im Genfer Gelöbnis des Weltärztebundes wie auch in der Berufsordnung für die deutschen Ärzte wieder. Dieser hohe Stellenwert des Arztgeheimnisses resultiert nicht zuletzt aus dem Respekt vor den unveräußerlichen Rechten des Patienten als Patient, das heißt dem spezifischen Vertrauensverhältnis zum Arzt. Grundsätzlich wird mit dem vorliegenden Gesetzentwurf das Arztgeheimnis in Frage gestellt.
Ich teile die Auffassung von Marion Gräfin Dönhoff in der "Zeit" vom 15. Januar 1998:
Gewiß sind die Gefahren der Ausländerkriminalität, des organisierten Verbrechens -- dazu gehören Drogenhandel, Schutzgelderpressungen, Waffenschiebereien und Bandendiebstähle -- besorgniserregend. Aber sind wirklich alle vorhandenen Mittel zu deren Bekämpfung ausgeschöpft? Mancher Bürger hat den Eindruck, daß das, was die Regierung versäumt hat -- eine effektivere Verfolgung der Straftäter, einen adäquaten Einsatz der Polizei, eine allgemeine Sensibilisierung des Rechtsgefühls --, nun auf Kosten des Grundgesetzes wettgemacht werden soll.
Es ist nicht nur leichtfertig, es ist ein schwerer Fehler, Nachlässigkeit, die man zugelassen hat, durch Beschädigung der Verfassung wieder gutmachen zu wollen.
Volker Kröning (SPD): Kriminalität ist in derart wachsendem Maße von Internationalisierung, Ökonomisierung, Professionalisierung gekennzeichnet, daß Kriminalitätsbekämpfung darauf zeitgemäße Antworten geben muß. Das Verhältnis von Recht des einzelnen auf Schutz vor dem Staat und Pflicht des Staates zum Schutz des einzelnen ist anders zu regeln als noch zu Beginn dieses oder des vorigen Jahrzehnts. Die Antwort, die Koalition und SPD in den Gesetzentwürfen in den Drucksachen 13/8650 und 13/8651 zu geben suchen, ist überfällig. Diese Antwort als untauglich zu bezeichnen überzeugt nicht, wenn und soweit keine Alternativen vorgeschlagen werden.
Die Ergebnisse der Verhandlungen zur Verbesserung der Entwürfe, die in den Drucksachen 13/9642 und 13/9644 vorliegen, sind keine Kosmetik, als die sie vielfach dargestellt werden. Es ist verfassungspolitisch wichtig, daß die Vermengung der Strafverfolgung und Gefahrenabwehr, die in Art. 13 Abs. 3 und 4 E-GG geregelt werden, mit dem Verfassungsschutz durch Streichung des Art. 13 Abs. 4 Satz 3 GG des ursprunglichen Entwurfs vermieden wird.
Verbesserungen sind auch in denjenigen einfachgesetzlichen Änderungen enthalten, die den Straftatenkatalog, § 100 c Abs. 1 Nr. 3 E-StPO, und die Benachrichtungs- und Berichtspflichten, §§ 100 e, 101 E-StPO, betreffen.
Für mißglückt halte ich dagegen den Versuch, die Zeugnisverweigerungsrechte bestimmter Berufsgruppen mit Blick auf die Möglichkeit der technischen Wohnraumüberwachung um abgestufte Beweiserhebungsverbote bzw. Beweisverwertungsverbote zu erweitern, § 100 d Abs. 3 E-StPO. Dies wiegt für mich so schwer, daß ich das Artikelgesetz mit den einfachgesetzlichen Änderungen -- auch nach Abwägung mit seinen anderen Teilen -- ablehne.
Das Problem wurde in der Begründung zu Art. 13 Abs. 3 und 4 E-GG "Die Zeugnisverweigerungsrechte bleiben gewährleistet" -- und in der ersten Lesung -- Protokoll der 197. Sitzung, S. 17677 ff. -- angesprochen. Die Lösung, die nun versucht wird, unterscheidet in nicht sachgemäßer und nicht praktikabler Weise insbesondere zwischen Strafverteidiger und der gesamten anderen Anwaltschaft sowie zwischen Abgeordneten und Journalisten. Das Vertrauensverhältnis der Bürger zu den Angehörigen dieser Berufe ist verfassungsrechtlich in gleichartiger Weise geschützt; Begrenzungen des Berufsgeheimnisses bei einem strafrechtlichen Verdacht ließen sich auch einheitlich gestalten.
Daß die Zeit für die Lösung dieses Problems zunächst nicht ausgereicht hatte, unterstreicht, daß die nun gefundene Regelung nicht das letzte Wort des Gesetzgebers sein kann. Dies gilt auch für die Frage des Arztgeheimnisses. Ich kann dieser Regelung nicht zustimmen, wenn -- bzw. da -- ich ihre Korrektur für notwendig halte.
Heidemarie Lüth (PDS): Es gibt viele Gründe, die Änderung des Grundgesetzes abzulehnen. Ein Grund ist für mich, daß mit dem zugrunde liegenden Gesetz andere Gesetze in eklatanter Weise gebrochen werden. Gesetze, in denen Bürgerinnen und Bürger Rechte garantiert werden, die durch dieses durch die "kalte Küche" wieder ausgehebelt werden.
Ich möchte mich in meiner Begründung auf einen besonderen Sachverhalt beziehen, der im Hinblick auf den großen Lauschangriff in der öffentlichen Diskussion eine untergeordnete Rolle gespielt hat: das Schwangerschaftskonfliktgesetz. Es paßt jedoch in die Richtung der Diskussion, die die Frauenministerin vorgegeben hat. Vom Kanzler zurückgepfiffen, werden in diesem zur Abstimmung stehenden Gesetz auch Rechte der Frauen massiv verletzt. Darum lehne ich den Antrag ab.
Im Schwangerschaftskonfliktgesetz ist eine Pflichtberatung festgelegt. Um den Schutz der Frauen, die die Pflichtberatung absolvieren müssen, zu gewährleisten, wurde in dieses Gesetz das Zeugnisverweigerungsrecht der in den Beratungsstellen tätigen Beraterinnen, Ärzte und Psychologinnen eingeführt. Ich lehne den heutigen Gesetzentwurf ab, weil durch ihn eben dieses Recht ausgehebelt wird. Schwangere Frauen werden so in ihrem Konflikt ins Kriminelle gerückt. Ich lehne den Gesetzentwurf ab, weil in besonders perfider Form den Frauen einiges zugemutet wird, und zwar wegen der Einhaltung der Beratungspflicht, um den Schwangerschaftsabbruch zu erreichen, die ein Gesetz auferlegt, das eben durch diesen Bundestag beschlossen wurde. Durch dieses Gesetz, das auch durch diesen Bundestag beschlossen werden soll, besteht die rechtliche Möglichkeit, die Beratungsstellen, in denen die Gespräche geführt werden, zu verwanzen.
Ich lehne den Gesetzentwurf ab, weil nun zwar nicht -- wie die Ministerin Nolte -- die Frauen "überwacht" werden, nun aber konkret per Abhörung überwacht werden können.
Ich lehne den Entwurf ab, weil durch ihn auch im Fall der betroffenen Frauen Grundrechte schwer verletzt werden.
Dr. Klaus Röhl (F.D.P.): Das vermehrte Auftreten von organisierter Kriminalität und anderer schwerster Straftaten erfordert effektive und neue Methoden zu ihrer Bekämpfung. Die elektronische Wohnraumüberwachung ist eine solche mögliche Methode. Ihre Anwendung ist ein tiefer, ein schwerstwiegender Eingriff in die Garantie der Unverletzlichkeit der Wohnung, entsprechend Art. 13 GG. Die Anwendung der elektronischen Wohnraumüberwachung darf deshalb nur bei dringendem Tatverdacht in schwerstwiegenden Fällen und zur Abwehr von schwersten drohenden Gefahren und Gefahren für das Leben von Personen angewendet werden. Es darf kein Abhören unbeteiligter Personen eintreten, auch nicht präventives Abhören nicht eindeutig Beteiligter. Nicht zur betreffenden Straftat gehörende Gespräche belauschter Personen dürfen weder verwendet und schon gar nicht in irgendeiner Weise oder Form verbreitet werden.
Gespräche von Personen mit Geistlichen, Strafverteidigern, Ärzten, Abgeordneten (entsprechend Art. 47 GG) während der Ausübung ihrer diesbezüglichen Tätigkeit, dürfen in keinem Fall der akustischen Überwachung unterworfen werden. Die Ausübung der Pressefreiheit ist zu garantieren.
Bei der Durchführung einer elekronischen (akustischen) Wohnraumüberwachung ist die Einhaltung dieser Forderungen zu garantieren. Deshalb müssen diese Forderungen in den Formulierungen des veränderten Art. 13 GG ebenfalls eindeutig, nicht unterschiedlich auslegbar, ihren Ausdruck finden. Im geänderten Art. 13 GG ist ebenfalls festzulegen, daß die Bestimmungen des Ausführungsgesetzes nicht mit einfacher Mehrheit des Parlamentes, sondern nur mit einer Zweidrittelmehrheit des Parlaments geändert werden können. Das gilt ganz besonders für die Liste der Straftaten, bei denen Wohnraumüberwachung zugelassen wird. Im Ausführungsgesetz sind die Einzelheiten in streng eingrenzenden Bestimmungen in ebenfalls eindeutiger und nicht unterschiedlich auslegbarer und nicht ausdehnbarer Form niederzulegen.
Unverzichtbar ist, daß auch im Fall der Gefahr im Verzuge nur ein mit drei Richtern besetzter Spruchkörper die Anordnung treffen kann. Bei der schwerwiegenden Bedeutung solcher Maßnahmen für die Betroffenen, aber auch bei der schwerwiegenden Bedeutung der zu genehmigenden Fälle, ist das von Richterspruchkörpern zu fordern. Eine solche Einsatzbereitschaft ist bei einer Vielzahl von einfachen und hochqualifizierten, heute ausgeübten Berufen selbstverständlich.
Alle diese unverzichtbaren Forderungen erfüllt besonders der zur Abstimmung vorgelegte Text des zu ändernden Art. 13 des Grundgesetzes nicht; die Bestimmungen und Formulierungen des zur Abstimmung vorgelegten Gesetzes erfüllen diese Forderungen ebenfalls nicht.
Aus diesen Gründen ist es mir nicht möglich, der vorgelegten Änderung des Art. 13 GG und dem ebenfalls vorgelegten Ausführungsgesetz zuzustimmen.
Reinhard Schultz (Everswinkel) (SPD): Ich stimme gegen die Änderung des Grundgesetzes, wonach künftig die akustische Überwachung von Wohnungen, der sogenannte Lauschangriff, grundsätzlich erlaubt sein soll. Seit längerem gehöre ich zu den Befürwortern des Lauschangriffes im Einsatz gegen milliardenschwere und gesellschaftszersetzende organisierte Kriminalität. Wer weiß, wie tief mafiöse Banden in weißen Kragen in die Institutionen des Staates und in die Wirtschaft eingesickert sind, wie menschenverachtend, brutal und zerstörerisch die international verflochtenen Verbrechersyndikate vorgehen, der muß zur Verteidigung von Gesellschaft, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit wenigstens ein bescheidendes Maß an Waffengleichheit für die Strafverfolgungsbehörden schaffen. In Italien und den USA ist es längst erwiesen, daß im Kampf gegen die Mafia auf Abhören von Verbrecherwohnungen nicht verzichtet werden kann. Davor braucht ein normaler unbescholtener Bürger auch keine Angst zu haben.
Ausnahmen von Verfassungsgrundsätzen, wie die Unverletzlichkeit der Wohnung, dürfen jedoch nur in klar abgegrenzten Fällen und unter Abwägung von Nutzen und Schaden für den demokratischen Rechtsstaat zugelassen werden. Diese Grenze ist im Zuge der Nachbesserung der Gesetzentwürfe überschritten worden, als Fallgruppen gebildet wurden, bei denen überwacht werden darf, und welche, bei denen das grundsätzlich nicht möglich sein soll.
Nach der alten Fassung hätte ein Richterkollegium die akustische Überwachung eines Journalisten im Rahmen seiner Tätigkeit als Journalist niemals zugelassen; jetzt werden die Richter ausdrücklich dazu ermächtigt. Dies kann ich nicht hinnehmen. Die Pressefreiheit ist ein genauso wichtiges demokratisches Gut wie die Unverletzlichkeit eines Abgeordneten und dessen Wohnung oder Büro, der natürlich -- und zwar gemäß Gesetzestext -- ausdrücklich nie abgehört werden darf. Die Presse ist die dritte Gewalt in einer Demokratie, deren Freiheit durch das Risiko der Überwachung bei bestimmten Recherchen unzumutbar eingeschränkt würde, und zwar nicht nur zu Lasten der Presse selbst, sondern zu Lasten aller Staatsbürger.
Die Überwachung von Anwälten, die nicht gerade im zu verfolgenden Fall als Strafverteidiger tätig sind, sondern zum Beispiel die Vertrags- und Geldgeschäfte für eine kriminelle Bande abwickeln, halte ich dagegen für zulässig und notwendig. Das gilt auch für Ärzte, deren Schweigepflicht nicht zum Schutz Schwerstkrimineller mißbraucht werden darf.
Max Stadler, Dr. Otto Graf Lambsdorff, Hans-Dietrich Genscher (alle F.D.P.): Es ist selbstverständlich, daß der Gesetzgeber zur Bekämpfung der Kriminalität den dafür zuständigen Behörden die notwendigen Befugnisse erteilen muß.
Daher hat das Grundgesetz seit jeher in Artikel 13 als Ausnahme vom Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung den Einsatz akustischer Überwachungsmaßnahmen zugelassen, um konkret bevorstehende schwerwiegende Straftaten verhüten zu können. Die entsprechenden Vorschriften in den Polizeigesetzen von 15 Bundesländern habe ich immer befürwortet.
Bei der Neufassung des Gesetzes über das Bundeskriminalamt bin ich als Berichterstatter der F.D.P.-Bundestagsfraktion dafür eingetreten, daß beim Einsatz verdeckter Ermittler zu deren Eigenschutz akustische und optische Wohnraumüberwachungsmaßnahmen vorgenommen werden dürfen.
Schließlich ist zu respektieren, daß beim Mitgliederentscheid der F.D.P. eine Mehrheit den sogenannten "großen Lauschangriff" auch zu Zwecken der Beweisgewinnung nach schon begangenen Straftaten zulassen will.
Damit ist allerdings ein neuerlicher, schwerwiegender Grundrechtseingriff verbunden. Zwischen Befürwortern und Gegnern der Neuregelung ist unstrittig, daß ein solcher Grundrechtseingriff an sehr enge rechtsstaatliche Kautelen gebunden werden muß.
Zumindest bei einer Teilproblematik hätten nach meiner persönlichen Auffassung die Grenzen aber noch enger gezogen werden müssen, nämlich beim Schutz von Berufsgeheimnissen.
Der hierzu gefundene Kompromiß von CDU/CSU, F.D.P. und SPD sieht eine abgestufte Lösung vor. Dies ist grundsätzlich ein richtiger Ansatz, während der entsprechende Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu weit geht und auch bei Berufsgruppen, wo dies nicht sachlich geboten ist, Beweiserhebungsverbote einführen will.
Jedoch halte ich es nicht für ausreichend, wenn die Berufsgeheimnisse insbesondere von Ärzten, Anwälten -- außerhalb der Strafverteidigung -- und Journalisten nur durch Beweisverwertungsverbote geschützt werden.
Dies bedeutet nämlich, daß zunächst Gespräche von Patienten mit Ärzten, Mandanten mit Anwälten sowie Informanten mit Journalisten mitgehört werden können, ehe über die Verwertbarkeit der dabei erlangten Informationen für die Strafverfolgung entschieden wird.
Solche Gespräche müssen aber in einer Atmosphäre absoluter Vertraulichkeit geführt werden können. Dies gilt im übrigen auch noch hinsichtlich anderer Berufsgruppen als der oben beispielhaft genannten.
Diese absolute Vertraulichkeit bei der Erörterung intimster sehr persönlicher Angelegenheiten ist durch die vorgeschlagene Neuregelung zum sogenannten "großen Lauschangriff" nicht mehr gewährleistet.
Vor allem aus diesem Grund stimmen wir gegen die Neuregelung.
Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Ich erkenne an, daß die heute zur Abstimmung anstehende Änderung des Grundgesetzes rechtsstaatliche Sicherungen beinhaltet, die die akustische Wohnraumüberwachung eingrenzt. Bei Abwägung dieses Gewinns gegenüber dem Erfordernis, daß der Schutz des betroffenen Wohnungsinhabers umfassend zu gewährleisten ist, fällt mein persönliches Urteil jedoch anders aus.
Für den betroffenen Wohnungsinhaber macht es keinen Unterschied, ob der Eingriff in das Grundrecht der Unverletzlichkeit seiner Wohnung aus Gründen der Gefahrenabwehr für Dritte, aus Gründen der Strafverfolgung oder zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen vorgenommen wird. Bei den Maßnahmen nach Art. 13 Abs. 5 fehlen das Institut der richterlichen Anordnung sowie Benachrichtigungs- und Berichtspflichten.
Der Gefahrenabwehrbegriff ist zu weit gefaßt und wird nicht auf die konkrete und unmittelbar bevorstehende Gefahr begrenzt. Präventive Lauschangriffe sind deshalb auch künftig möglich zur Erforschung von Gefahren und bei Gefahrenverdacht. So jedoch wird die akustische Wohnraumüberwachung nicht zu einem letzten Mittel, sondern zu einem, das im Vorfeld der Gefahr eingesetzt wird.
Deshalb kann ich der vorgeschlagenen Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes nicht zustimmen und enthalte mich der Stimme.
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