Art. 15 [Freiheit von Gefangenschaft] bisher Art. 5, 19 , 21, 23, 24

     (1) Niemand darf gefangen gehalten werden.

     (2) Das Recht aus Absatz 1 kann nur aufgrund des Gesetzes und nur durch richterliche Entscheidung eingeschränkt werden,
     a) um eine [zeitlich befristete] Freiheitsstrafe zu vollziehen, die wegen einer durch Gesetz bestimmten schuldhaft begangenen strafbaren Handlung verhängt worden ist,
     b) um eine Untersuchungs- oder Sicherungshaft zu vollziehen,
     c) um die Vollziehung der Ausreiseverpflichtung eines Ausländers zu sichern,
     d) um die Sicherungsverwahrung zu vollziehen,
     e) um eine schwerwiegende Gefahr abzuwehren, die von einem Kranken für seine Mitmenschen oder ihn selbst ausgeht,
     f) zur Durchsetzung der Pflicht, vor Gericht zu erscheinen, zum Vollzug der gerichtlichen Sitzungspolizei und zur Vollstreckung gerichtlicher Urteile

     (3) Jeder Festgenommene ist unverzüglich, spätestens jedoch nach 24 Stunden seinem Richter zuzuführen, der ihn zu vernehmen, über die Entlassung oder Verhaftung zu befinden und im Falle der Verhaftung bis zur endgültigen richterlichen Entscheidung von Monat zu Monat neu zu prüfen hat, ob weitere Haft gerechtfertigt ist. Der Grund der Verhaftung ist dem Festgenommenen sofort und auf seinen Wunsch einer Person seines Vertrauens innerhalb weiterer 24 Stunden nach der richterlichen Entscheidung mitzuteilen.
 

Begründung:
Zu Absatz 1:
Der Absatz nimmt den bisherigen Art. 5 HV ("Die Freiheit der Person ist unantastbar") auf, formuliert ihn aber eindeutiger. Es geht um die Freiheit der Bewegung oder noch klarer: um die Freiheit von Gefangenschaft.

Zu Absatz 2:
Der Absatz tritt an die Stelle der bisherigen Art. 19 Abs. 1 HV (Untersuchungshaft), 21 (Strafhaft), 23 (Einweisung in Anstalten) und 24 (Vorführung). Alle Gründe, die eine Einschränkung der Freihaft von Gefangenschaft rechtfertigen, werden hier abschließend und übersichtlich aufgelistet. Andere als die aufgelisteten Gründe rechtfertigen keine Beschränkung der Freiheit von Gefangenschaft.

Lit. a) stellt in der Fassung mit dem Klammerausdruck klar, daß die lebenslange Haftstrafe nicht zulässig ist. Sie verstößt nach Ansicht einiger Mitglieder unserer Arbeitsgruppe gegen die Menschenwürde, weil sie den Betroffenen zum reinen Objekt fremder Zwecke herabwürdigt. Die Arbeitsgruppe hat in diesem Punkt aber keine Einigkeit hergestellt, weshalb die Frage des Klammerausdrucks der weiteren Diskussion überlasse bleiben muß.

Lit. c) sieht einen zusätzlichen Haftgrund vor, den die bisherige HV nicht kennt, bzw. etwas unpräzise umschreibt (Art. 24 HV: zum "Vollzug gesetzmäßiger Verwaltungsanordnungen"). Die Abschiebehaft beruht auf Bundesrecht und ist bundesrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG gerechtfertigt, der das Grundrecht der Freiheit von Gefangenschaft unter einen allgemeinen Gesetzesvorbehalt stellt. Unser Entwurf läßt es nicht zu, daß sich der Gesetzgeber neue Haftgründe einfallen läßt. Da wir andererseits die Erforderlichkeit von Abschiebehaft bejahen, muß dieser Haftgrund in die Verfassung aufgenommen werden.

Lit. d) betrifft die Sicherungsverwahrung, die zwar im Strafgesetzbuch, aber nicht in der HV vorgesehen ist.

Lit. e) ersetzt den bisherigen Art. 23 HV. Während nach diesem aber für die Einweisung in eine Anstalt keine richterliche Entscheidung vorgesehen ist, sondern nur die Möglichkeit, den Richter dagegen anzurufen (was voraussetzt, daß der Betroffene sich insoweit noch selbst helfen kann oder Dritte für ihn tätig werden) bestimmt unser Vorschlag, daß eine Einweisung nur aufgrund richterlicher Entscheidung zulässig ist. Dies entspricht der heutigen Rechtslage nach Bundesrecht (§ 1906 BGB).

Lit. f) nimmt den jetzigen Art. 24 weitgehend auf.

Zu Absatz 3:
Der Absatz übernimmt den jetzigen Art. 19 Abs. 2 HV.

Kompatibilität:
Die Norm weicht in Absatz 2 lit. a) insoweit vom Bundesrecht ab, als hier die lebenslange Haftstrafe verboten wird. Die Befürworter der Abschaffung der lebenslangen Haftstrafe innerhalb der Arbeitsgruppe sind der Meinung, daß in diesem Falle das Bundesrecht (§ 211 StGB) nicht das Landesrecht brechen kann, weil § 211 StGB mit der Menschenwürde und damit auch mit Art. 1 GG unvereinbar ist. Das BVerfG hat dies bisher aber noch nicht so gesehen. Im Ergebnis führt das dazu, daß § 211 StGB der Regelung des vorgeschlagenen Art. 15 Abs. 2 lit. a) vorgeht. Die Landesorgane sind aber nach Art. 1 Abs. 2 verpflichtet, auf eine Änderung des § 211 StGB hinzuwirken.

Absatz 3 schränkt die Frist in Art. 103 Abs. 2 und 3 GG, die danach maximal 48 Stunden beträgt, auf 24 Stunden ein. Dies ist nach Art. 142 GG mit Bundesrecht vereinbar (vgl. Erläuterung vor Art. 7).

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© by Arbeitsgruppe "Schöne Aussicht" 1998