Norbert Geis (CDU/CSU): Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Dynamik der organisierten Kriminalität in Europa und insbesondere in Deutschland ist ungebrochen und unvermindert. Weltweit haben sich kriminelle Gruppen etabliert, die vor allen Dingen in den europäischen Raum und hier wiederum insbesondere nach Deutschland vorzudringen versuchen. Es geht um Drogenhandel, um Handel mit radioaktiven Stoffen, um Kfz-Diebstähle, um Menschenhandel und vor allem um die Geldwäsche. Weltweit wurden im letzten Jahr an die 800 Milliarden Dollar in der Geldwäsche umgesetzt, davon allein in Deutschland an die 100 Milliarden Dollar. Das beweist, daß die organisierte Kriminalität mehr und mehr in unser Wirtschaftsleben vorzudringen beginnt.

Die Gefahr für unsere Gesellschaft und für unsere Wirtschaft besteht dabei nicht so sehr in der Einzeltat als vielmehr darin, daß ein großes Kapital Einfluß zu nehmen versucht auf die Entscheidungsträger und Entscheidungsvorgänge in der Gesellschaft und in der Wirtschaft sowie auf Entscheidungen, die dann demokratisch nicht mehr kontrollierbar sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der F.D.P.)

Durch die gigantische Finanzmacht vergiftet die organisierte Kriminalität die öffentliche Verwaltung, die Justiz, die Politik und die Wirtschaft. Die Folge ist, daß die Unabhängigkeit der richterlichen Entscheidung, die Glaubwürdigkeit der Politik und die Zustimmung zu unserer Werteordnung gefährdet sind. Wer über diese große Gefahr für unser Gemeinwesen nachdenkt, der wundert sich eigentlich darüber, daß wir nicht schon längst den Schritt getan haben, den wir heute hoffentlich mit großer Mehrheit unternehmen wollen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die Polizei und die Staatsanwaltschaft drängen darauf, daß wir auch für den Bereich der Strafverfolgung die elektronische Wohnraumüberwachung zulassen. Die Fachleute sagen uns, wir sollten nicht allein bei der akustischen Wohnraumüberwachung stehenbleiben,

(Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was kommt danach?)

sondern auch gleich die optische Wohnraumüberwachung regeln. Wir haben uns damit nicht durchgesetzt. Ich möchte dies hier nicht weiter vertiefen, aber es heute wenigstens erwähnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich hoffe sehr, daß die kriminelle Entwicklung in Deutschland uns nicht in kürzester Frist dazu zwingt, auch dieses Mittel noch einzusetzen.

Von den Gegnern der technischen Überwachung von Wohnungen wird mit Recht angeführt, daß durch diesen Eingriff, durch diese elektronische Wohnraumüberwachung, das Grundrecht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung beeinträchtigt wird. Wir sehen dies und achten dieses Argument. Gerade in einer Massengesellschaft braucht der Mensch einen Binnenraum, wie es das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, in den er sich zurückziehen kann, weil erst so die Grundlage für die freiheitliche Entwicklung geschaffen wird. Das ist ein gewichtiges Gegenargument. Deswegen hat es auch so lange gedauert, bis wir uns, das heißt, SPD-, F.D.P- und CDU/CSU-Bundestagsfraktion, zu diesem gemeinsamen Schritt entschlossen haben.

Wir müssen aber wissen, daß dieses Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 Grundgesetz nie schrankenlos gewährt worden ist. Es gibt natürlich heute schon die Möglichkeit des Eingriffs, zum Beispiel durch die Hausdurchsuchung im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens. Dafür genügt die Vermutung, daß dort Beweismittel gesichert werden können.

(Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das geschieht aber nicht heimlich!)

-- Es ist richtig, daß dies nicht heimlich geschieht. Eine solche Hausdurchsuchung ist auch nur von kurzer Dauer. Die Betroffenen, die dies miterleben, und auch diejenigen, die sich in der Wohnung befinden, aber überhaupt nichts mit einer eventuellen Straftat zu tun haben, empfinden diesen Eingriff als einen gewaltigen Angriff auf ihre Intimsphäre. Bei solchen Eingriffen kommt es auch zu Nervenzusammenbrüchen.

Diese Eingriffe sind schon jetzt im Rahmen der Prävention möglich. Wir alle wissen das. Niemand will dies abschaffen. Es wäre auch ein Irrsinn, wenn wir der Polizei die Möglichkeit nehmen würden, beispielsweise bei einer Geiselnahme alle technischen -- akustischen und optischen -- Mittel einzusetzen.

Die Voraussetzungen für diese Eingriffe -- das sage ich in Richtung all derer, die zögern, der Verfassungsänderung zuzustimmen -- sind verschärft worden. Dadurch werden die Möglichkeiten der Polizei aber nicht beeinträchtigt. Das muß hinzugefügt werden.

Wir haben weiterhin jetzt schon auf Grund von Polizeigesetzen die Möglichkeit des Eingriffs in Wohnungen, wenn für die Sicherheit eines verdeckten Ermittlers eine akustische oder optische Überwachung des Raumes angeordnet ist, in dem er sich mit Verbrechern trifft, um dort bestimmte Dinge abzusprechen oder an einem Gespräch teilzunehmen.

(Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieser Schutz ist vorgeschoben, Herr Geis!)

Hierfür haben wir nun stärkere rechtsstaatliche Voraussetzungen geschaffen.

Wenn Sie gegen die Verfassungsergänzung und Verfassungsänderung sind, sind Sie auch gegen die rechtsstaatlichen Voraussetzungen, die jetzt in die Verfassung hineingeschrieben werden, damit solche Einsätze überhaupt möglich sind.

Wir haben jetzt schon die Möglichkeit, in verschiedener Form in das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung einzugreifen. Dies ist verfassungsrechtlich abgesichert. Jetzt geht es um den letzten Schritt, nämlich die akustische Überwachung auch im Rahmen der Strafverfolgung zu ermöglichen.

(Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist noch lange nicht der letzte Schritt!)

Dem Laien müssen Sie erst einmal klarmachen, worin der Unterschied liegt. Sie müssen auch den Experten klarmachen, worin der Unterschied liegt. Denn beides, die Prävention und die Repression -- wie die Juristen sagen --, also die Verhinderung und die Verfolgung von Straftaten, greift in den meisten Fällen ineinander. Hier künstlich zu unterscheiden, wie das im Augenblick in unserer Verfassung noch geschieht, halten wir für falsch.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deswegen ist es logisch und richtig, diesen Schritt zu tun. Ich fordere all diejenigen auf, die noch zögern, diesen Schritt mitzugehen. Die Überwachung von Wohnungen wird wirklich nicht ausgeweitet. Die akustische Überwachung beruht letzten Endes auf der Sorge um die Sicherheit der Menschen.

(Dr. Burkhard Hirsch [F.D.P.]: Wenn es nicht mehr ist, warum machen Sie es dann?)

-- Lieber Herr Hirsch, auch bei der akustischen Überwachung von Wohnungen im Rahmen der Strafverfolgung geht es um nichts anderes als um die Sicherheit unserer Bevölkerung. Was wollen wir denn damit? Wir wollen doch keinen Polizeistaat, sondern wir wollen -- das müssen Sie uns abnehmen -- nichts anderes als eine bessere, stärkere Bekämpfung einer großen Gefahr, die auf uns zukommt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die organisierte Kriminalität darf nicht verniedlicht werden. Ich habe vorhin versucht, in wenigen Sätzen darzustellen, warum das so ist. Wir werden in Kürze mit einem noch viel größeren Ansturm dieser Art von Kriminalität zu tun haben. Deswegen müssen wir uns dagegen wehren, auch in der Strafverfolgung.

(Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber mit anderen Mitteln!)

Auch die Strafverfolgung hat keinen anderen Zweck, als Verbrechen zu verhindern.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Verbrechen verfolgt werden, dann wird es gefährlicher, Verbrechen zu begehen. Dadurch werden Verbrechen verhindert; das wollen wir doch erreichen.

Wenn wir die akustische Überwachung in der Prävention zulassen, lieber Herr Hirsch, dann ist es für mich nicht einsichtig, warum sie in der Verfolgung einer Straftat nicht zugelassen sein soll. Dieser Schritt ist eigentlich nur logisch. Die ganze Gesetzgebung und die verfassungsrechtlichen Grundlagen, die wir jetzt schon haben, geben diese Möglichkeiten des Eingriffs vor.

Gegen diesen Eingriff durch akustische Überwachung wird ein weitereres wichtiges Argument eingewendet, und zwar die Verletzung des Zeugnisverweigerungsrechtes und die Verletzung des damit verbundenen Vertrauensverhältnisses. Wir wollen das nicht geringachten.

(Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber?)

Wir wissen nicht erst seit den großen Einwendungen in der Presse, im Rundfunk und im Fernsehen in den letzten Wochen, daß das Zeugnisverweigerungsrecht und das ihm zugrunde liegende Vertrauensverhältnis eine für unser Staatswesen wichtige Institution sind. Das muß hier vorausgesetzt werden.

Die Verbände der Ärzte und der Anwälte haben gefordert, daß dann, wenn es um ein Gespräch des Betroffenen mit seinem Anwalt, wenn er nicht Verteidiger ist, oder mit seinem Arzt geht, generell und von vornherein keine akustische Überwachung möglich sein darf.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Was hat ein Verbrechen mit einem Arztgespräch zu tun?)

Sie fordern das Erhebungsverbot. So weit können wir in dieser Frage nicht gehen, weil wir sonst gleich das ganze Unternehmen seinlassen könnten und keine große Diskussion um eine Verfassungsänderung bräuchten. Wenn wir die akustische Überwachung in diesen Bereichen grundsätzlich nicht

ermöglichen wollen, dann brauchen wir das ganze Unternehmen nicht, dann lohnt sich die Anstrengung nicht.

Deswegen können wir dieser Forderung nicht folgen. Sie mag ja aus der Sicht dieser Interessenvertreter berechtigt sein. Jeder soll seine Interessen in einer demokratischen, pluralistischen Gesellschaft vertreten. Aber wir haben hier das Ganze zusammenzubinden. Wir haben zwei Dinge zu sehen: einmal natürlich das Recht auf Zeugnisverweigerung und den Vertrauensschutz, der damit verbunden ist, auf der anderen Seite aber auch den Anspruch des Staates auf Strafverfolgung, wobei es nicht um Sühne geht, wobei es nicht darum geht, daß nun jemand endlich hinter Schloß und Riegel kommt. Vielmehr geht es -- ich sage das noch einmal -- um nichts Geringeres als um Verbrechensbekämpfung. Das ist das große Gut, das auf der anderen Seite steht. Da muß man einfach abwägen. Deswegen kann man nicht von vornherein sagen: Das geht nicht.

Dort, wo die Verfassung von vornherein ganz klare Regeln getroffen hat, wie beispielsweise bei der Religionsausübung im Sinne des Art. 4 des Grundgesetzes -- Beichte oder seelsorgerliches Gespräch --, bei dem Gespräch mit dem Verteidiger, das ja nach unserer Verfassung, nach dem Rechtsstaatsprinzip und nach § 148 StPO geschützt ist, bei dem Gespräch mit dem Anwalt, soweit er Verteidiger ist, und auch -- ob man das will oder nicht, ob man das gutheißt oder nicht, ob man sich darüber mokiert oder nicht -- bei dem Gespräch mit dem Abgeordneten -- hier hat die Verfassung eine eindeutige Entscheidung getroffen --, müßte man erst einmal die Verfassung ändern. Das sage ich all denen, die über uns hergefallen sind, weil sie in der Gesetzesformulierung plötzlich entdeckt haben, daß nun auch das Gespräch mit dem Abgeordneten geschützt ist. Meine sehr verehrten Damen und Herren, es steht in der Verfassung. Sie müßten erst einmal die Verfassung ändern, wenn Sie das ändern wollten. Das kann man machen; darüber kann man diskutieren. Dabei sind aber viele andere Aspekte mit zu berücksichtigen. Man kann das nicht in einem solchen Verfahren tun.

Ich bin im übrigen dagegen, das zu ändern. Ich bin der Meinung, der Volksvertreter hat, weil er vom Volk gewählt ist, eine hervorragende und herausragende Stellung. Das muß man akzeptieren, auch wenn einen das zunächst einmal, weil man selber betroffen ist, unangenehm anmutet. Ich gebe ja zu: Es betrifft auch mich, daß ich plötzlich eine Ausnahme bilden soll.

Aber, meine sehr verehrten Damen und Herren, wir haben einen verfassungsrechtlichen Status; dessen müssen wir uns bewußt sein. Deswegen sollten wir es auch ertragen, wenn jetzt ein paar Leute meinen, wir würden uns selber bevorzugen. Das ist ja gar nicht der Fall. Wir führen doch gar nichts ein, sondern nehmen nur das auf, was in der Verfassung steht. Wir hätten es gar nicht in das Gesetz schreiben müssen, weil es in der Verfassung schon vorgegeben ist.

(Erwin Marschewski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)

Deswegen gehen diese Argumente nach meiner Auffassung ins Leere.

(Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann brauchen Sie die Verfassung nicht zu ändern!)

Dann kommen natürlich all die vielen zeugnisverweigerungsberechtigten Personen, die Wert darauf legen müssen, daß das Gespräch mit ihnen und das diesem Gespräch zugrunde liegende Vertrauensverhältnis nicht gestört werden. Auch dieses Anliegen ist ja berechtigt. Nur, ein Erhebungsverbot -- das habe ich schon gesagt -- von vornherein einzuführen halte ich für ausgeschlossen. Dann können wir -- ich wiederhole es -- das ganze Unternehmen fallenlassen. Wir haben nämlich eine ganze Reihe von zeugnisverweigerungsberechtigten Personen. Schauen Sie einmal in das Gesetz. Wir haben gerade in den letzten Jahren diese Reihe der zeugnisverweigerungsberechtigten Personen noch erweitert; ob das richtig oder falsch war, habe ich hier heute nicht zu beurteilen. Weil das aber so ist, können wir nicht von vornherein ein Erhebungsverbot zulassen, sondern müssen uns überlegen, ob es im Einzelfall richtig ist, daß die Gespräche dieser zeugnisverweigerungsberechtigten Personen mit den Betroffenen ein Übergewicht gegenüber dem Anspruch und der Verpflichtung des Staates haben, für die innere Sicherheit zu sorgen.

(Manfred Such [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie wollen Sie das denn im voraus feststellen? Das können Sie doch gar nicht!)

Diese Abwägung müssen wir treffen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Andere Redner werden darauf noch näher eingehen; ich wollte es aber hier mit erwähnen.

Meine Damen und Herren, wir haben uns in der Gruppe aus F.D.P., CDU/CSU und SPD alle Mühe gegeben. Wir sind von gegensätzlichen Standpunkten aus aufeinander zugegangen. Der vorliegende Gesetzentwurf ist ein Kompromiß. Nicht alle unsere Vorstellungen und Positionen, die wir hatten und die wir seit zehn Jahren durchzusetzen versuchen -- seit zehn Jahren kämpfen wir darum und seit exakt sieben Jahren im parlamentarischen Raum, nämlich seit dem ersten Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität Anfang der 90er Jahre --, konnten wir durchsetzen. Ich glaube aber, daß wir zu einem vernünftigen Kompromiß gekommen sind.

Ich bedanke mich für die angenehme Atmosphäre dieser Gespräche. Ich meine, daß sich das Ergebnis sehen lassen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Detlef Kleinert [Hannover] [F.D.P.])


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