D) Lösungsmöglichkeiten

Wie oben dargelegt, führt die momentane Gesetzeslage zu teilweise sehr unbefriedigenden Ergebnissen. Um eine Verbesserung dieser Situation herbeizuführen, sind verschiedene Wege denkbar, jedoch nicht alle gangbar und praktikabel.

I. Lösung des Gesetzgebers

Der Gesetzgeber hat sich bei der Regelung der Abtreibung dagegen entschieden, eine Verletzung der Frucht bzw. die fahrlässige Abtötung derselben zu sanktionieren. Diese Entscheidung steht mit der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 II 1 GG in Einklang, denn, auch wenn grundsätzlich jedes menschliche Leben ohne Rücksicht auf Alter oder Lebenstüchtigkeit geschützt ist, so steht dem Gesetzgeber die Umsetzung seiner Schutzpflicht frei und er ist nicht gezwungen, die gleichen strafrechtlichen Maßnahmen in Bezug auf geborenes und ungeborenes Leben einzusetzen. Für die Lösung des Gesetzgebers spricht, daß insbesondere die Bestrafung der fahrlässigen Abtötung oder Verletzung der Frucht für die Mutter und deren Lebenskreis eine kaum zumutbare Einschränkung in der Lebensführung bedeuten würde: Jede schädigende Einwirkung sowohl durch Dritte wie einen Arzt oder der Mutter nahestehende Personen als auch durch die Mutter selbst käme als vorsätzliche bzw. fahrlässige Körperverletzung oder Tötung in Betracht, so daß eine Abgrenzung der strafbewehrten Verhaltensweisen von legalen Handlungen kaum möglich wäre.99 Als tatbestandsmäßiges Verhalten wären also auch Überanstrengung, Unfälle, Motorradfahren, Alkoholabusus, Ernährungsfehler, das Infizieren mit Krankheiten, Medikamenteneinnahme (auch ohne Dauerschäden als Folge), Bestrahlungen, etc. denkbar.100 Die Verwirklichung der §§ 211ff, 223ff käme für die Schwangere aufgrund ihrer Garantenstellung sowohl durch positives Tun als auch durch pflichtwidriges Unterlassen in Betracht.101

Eine allgemeine strafrechtliche Pönalisierung dieser Verhaltensweisen, die zwar ethisch zu mißbilligenswert erscheinen mögen, würde wohl zu weit führen, denn der Verlauf der Schwangerschaft würde vom Strafgesetz kontrollierend begleitet.102 Es erscheint untragbar, bei jeder Frühgeburt, bei jedem Gesundheitsmangel des Neugeborenen und bei jedem Sterbefall nach fahrlässiger Verursachung während der Schwangerschaft forschen zu müssen.103

II. Andere Lösungsansätze

1) Strafbarkeit nur bei vorsätzlichem Handeln

Nach dem oben gesagten könnte man zu dem Schluß kommen, daß allenfalls die Strafbarkeit der vorsätzlichen verletzenden Einwirkung auf die Leibesfrucht erwägenswert erscheint, da sich für den Bereich der fahrlässigen pränatalen Einwirkung keine befriedigende Lösung finden läßt, die mit den Interessen der Schwangeren in Einklang zu bringen ist.104

Trotzdem ist es rechtspolitisch nicht unbedenklich, daß fahrlässige schädigende pränatale Einwirkungen auf den Fetus - die praktisch bedeutendste Fallgruppe dürfte hier die Verletzung von Berufspflichten sein - nach der momentanen Gesetzeslage völlig straflos bleiben.105

2) Einschränkung des Täterkreises

Um die oben erwähnten unhaltbaren Einschränkungen in die Lebensführung der Schwangeren und ihres persönlichen Umfeldes zu vermeiden, könnte man an eine Einschränkung des Täterkreises denken, indem man nur die vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung von Berufspflichten sanktioniert.106 Gerade angesichts des technischen Fortschrittes, der immer weiter greifende Behandlungsmethoden auch an der Leibesfrucht erlaubt, die wiederum früher unbekannte Risiken in sich bergen, erscheint es notwendig, den strafrechtlichen Schutz des Ungeborenen in diesem Sinne zu erweitern.107

Hier ist natürlich einzuwenden, daß es keinen ersichtlichen Grund dafür gibt, warum es der Schwangeren oder einem beliebigen Dritten erlaubt sein sollte, gegenüber dem ungeborenen Kind dieselben Handlungen straflos vorzunehmen, für die der behandelnde Arzt zur Verantwortung gezogen würde.108 Eine Beschränkung der Haftung auf Berufspflichverletzungen erscheint also nicht unproblematisch.

3) Besondere Norm für die Tötung lebensfähiger Ungeborener

Eine weitere Möglichkeit, die Strafschutzlücken zu schließen, wäre, neben den §§ 211 ff, 222, 218 den Tatbestand der Tötung eines lebensfähigen Ungeborenen zu schaffen, welchen es in anderen Rechtssystemen schon seit längerem gibt.109 Denn gerade in den letzten Schwangerschaftsmonaten unterscheidet sich das - noch - nicht geborene Kind kaum mehr wesentlich vom Neugeborenen, so daß ein Angriff auf die Frucht in diesem Stadium qualitativ - zumindest aus biologischer Sicht - der Tötung eines Menschen iSd. § 211 ff gleichkommt.110 Diese Lösung ist aber bedenklich, da die Entwicklung des Lebens im Mutterleib einen kontinuierlichen Prozeß darstellt111, so daß eine Zäsur, die generell die potentielle Lebensfähigkeit des Fetus außerhalb des Mutterleibes markiert, schwer feststellbar ist. Zudem ist die Lebensfähigkeit kein objektives Abgrenzungskriterium, da sie vom jeweiligen Stand der medizinischen Wissenschaft und den medizinischen Versorgungsmöglichkeiten abhängt.

III. Kompromißvorschlag

1) Strafbarkeit Dritter

Wie dargelegt, läßt sich eine optimale Lösung, die allen Interessen gerecht wird, in diesem Bereich kaum finden. Deshalb kann es nur möglich sein, einen Kompromißvorschlag zu machen, der sozusagen, das "kleinste Übel" darstellt. Zunächst gibt es, meiner Meinung nach, keine Gründe, die gegen eine Bestrafung der vorsätzlichen Leibesfruchtbeschädigung durch Dritte sprechen. Um Widersprüche zu § 218 a zu vermeiden, müßten diese Fälle allerdings unter denselben Umständen gerechtfertigt bzw. straflos sein, wie nach dieser Vorschrift. Denn es geht nicht an, daß in derselben Situation die Tötung der Frucht vom Gesetzgeber zugelassen, die Fruchtschädigung nach einem mißglückten Abbruchsversuch hingegen strafrechtlich geahndet wird.

Auch die fahrlässige Tötung bzw. Beschädigung der Leibesfrucht sollte für Dritte - mit den genannten Ausnahmen - nicht folgenlos möglich sein. Um zu verhindern, daß ein ungezwungener Umgang mit einer Schwangeren kaum noch möglich ist, weil bei jedem unvorsichtigen oder unvernünftigen Verhalten, wie z. B. Rauchen in deren Gegenwart, eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Schädigung der Leibesfrucht im Raum steht, müßte man die Strafbarkeitsschwelle jedoch relativ hoch ansetzen, wie z. B. erst bei Leichtfertigkeit.

2) Strafbarkeit der Schwangeren

In Bezug auf die Schwangere selbst erscheint eine Sanktion am meisten problematisch. Zunächst könnte deren Straffreistellung nach § 218 IV 2 beim versuchten Schwangerschaftsabbruch unterlaufen werden, wenn der mißglückte - für die Schwangere straflose - Abbruchsversuch zu einer - bestraften - Fruchtschädigung führt. Viele Fälle der versuchten Schwangerschaftsunterbrechung durch die Frau wären dann auf dem Umweg über die Fruchtschädigung doch strafbar. Denn der Vorsatz, die Frucht zu töten umfaßt natürlich auch den Vorsatz dieselbe zu beschädigen. Insgesamt fragwürdig erscheint auch eine Strafbarkeit von fahrlässigem Handeln der Schwangeren. Denn niemand ist so eng über einen ununterbrochenen Zeitraum von neun Monaten mit dem werdenden Menschen verbunden wie dessen Mutter. Jede ihrer Verhaltensweisen wirkt sich im Vergleich zu anderen wesentlich intensiver auf das sich entwickelnde Kind in ihrem Bauch aus. Im Hinblick auf die besondere physiologische Verbundenheit von Mutter und Ungeborenem und ihre teilweise widerstreitenden Interessen sollte die Schwangere selbst von einer weitergehenden Strafbarkeit, als in § 218 vorgesehen ist, ausgespart werden.


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99 Kaufmann, JZ 1971, 569 (570); Lüttger, JR 1971, 133 (137); Tepperwien, Praenatale Einwirkung, S. 119; Goltdammer, Materialien zum preuß. StGB, S. 391; Arzt / Weber, Strafrecht / BT, Rn. 411.
100 Kaufmann, JZ 1971, 569 (570); LK-Jähnke, Vor § 211, Rn. 4.
101 BGH, GA 1970, 86; Kaufmann, JZ 1971, 569 (570).
102 Kaufmann, JZ 1971, 569 (570); LK-Jähnke, Vor § 211, Rn. 4; hingegen für eine ausdrückliche Strafvorschrift zum Schutz der Leibesfrucht gegen grobfahrlässige Abtötung und gegen vorsätzliche und fahrlässige Verletzung: Schwalm, MDR 1968, 277 (279).
103 Kaufmann, JZ 1971, 569 (571).
104 Kaufmann, JZ 1971, 569 (571).
105 BGHSt 31, 348 (353); Schwalm, MDR 1968, 277 (279); Lüttger, NStZ 1983, 481 (485).
106 Lüttger, JR 1971, 133 (142).
107 Lüttger, JR 1971, 133 (142).
108 Kaufmann, JZ 1971, 569 (570).
109 Hirsch, JR 1985, 336 (340); Maurach / Schroeder / Maiwald, BT/1, § 1 III, Rn. 9; Arzt / Weber, Strafrecht / BT, Rn. 406.
110 Hirsch, JR 1985, 336 (340).
111 BVerfGE 39, 1 (37).