Vizepräsidentin Michaela Geiger: Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die Aussprache. Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, weise ich darauf hin, daß uns zahlreiche schriftliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen, die wir zu Protokoll genommen haben. ) Es besteht der Wunsch nach einer mündlichen Erklärung zur Abstimmung nach § 31 der Geschäftsordnung. Das Wort dazu werde ich nach der ersten namentlichen Abstimmung erteilen.

Wir kommen zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU, SPD und F.D.P. eingebrachten Gesetzentwurf zur Änderung von Art. 13 des Grundgesetzes auf den Drucksachen 13/8650 und 13/9642.

Es liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9663 vor, über den wir zunächst abstimmen. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen verlangt namentliche Abstimmung. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen besetzt? -- Dann eröffne ich die Abstimmung. --

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weise Sie darauf hin, daß noch eine namentliche Abstimmung und danach sehr viele einfache Abstimmungen folgen.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme noch nicht abgegeben hat?

(Zuruf: Ja!)

-- Dann warten wir noch ein wenig. --

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Stimme nicht abgegeben hat? Das ist nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. )

Ich bitte die Kollegen, sich zu setzen, weil wir eine Erklärung zur Abstimmung haben, und so kann Herr Heuer nicht sprechen. Das gilt auch für die Regierungsbank. Bitte nehmen Sie Platz! Liebe Kolleginnen und Kollegen, die dort in der Mitte eine Tagung

) Anlagen 3 und 4

) Ergebnis Seite 19561

abhalten, bitte nehmen Sie Platz, wir wollen jetzt eine Erklärung zur Abstimmung hören!

 

Ich erteile das Wort Professor Dr. Uwe-Jens Heuer, PDS. Bitte, Ruhe! -- Herr Professor, Sie haben das Wort.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Aus einer Reihe von für mich sehr bedeutsamen Gründen kann ich weder der Änderung des Art. 13 des Grundgesetzes noch dem Gesetzentwurf zur Verbesserung der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zustimmen. Zwei davon möchte ich nennen.

Erstens wird damit nicht nur nach meiner Ansicht, sondern auch nach den gutachtlichen Stellungnahmen von mehreren Rechtswissenschaftlern bei der Anhörung des Rechtsausschusses am 21. November vergangenen Jahres verfassungswidriges Verfassungsrecht geschaffen. Negiert werden die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Prinzipien zur Wesensgehaltsgarantie der Grundrechte nach Art. 19 des Grundgesetzes, konkret des Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 Abs. 2 und auf informationelle Selbstbestimmung nach Art. 2.

(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch)

Meine Damen und Herren, es wäre sehr schön, wenn Sie einen Augenblick die Gespräche unterbrechen und mir zuhören würden. Ich habe nach der Geschäftsordnung keine lange Redezeit. Es wäre sehr freundlich, wenn Sie mich anhören würden.

Ich betone hier die Notwendigkeit der freien Kommunikation des gesprochenen Wortes ohne Angst vor staatlichem Mitschnitt. Das ist eine Grundvoraussetzung einer funktionierenden Demokratie. In der DDR gab es die Möglichkeit des illegalen Abhörens. Es gab keine rechtliche Regelung dafür. Aber ich weiß nicht, ob es ein wesentlicher Fortschritt ist, wenn wir heute den legalen Lauschangriff haben.

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, darf ich Sie bitten, in Ihrem Interesse Ihre Rede einen Augenblick zu unterbrechen.

Meine Kollegen, es hat so keinen Sinn. Es gibt das geschäftsordnungsmäßige Recht, eine Erklärung zur Abstimmung abzugeben. Daraus folgt auch unsere Pflicht, dem Redner die Gelegenheit zu geben, zu sprechen, und ihm zuzuhören. Ich bitte also, doch ein bißchen Respekt vor der Geschäftsordnung zu haben und einen Augenblick zuzuhören. Ich wäre sonst gezwungen, die Sitzung zu unterbrechen, was ich in unserem gemeinsamen Interesse nicht gerne machen möchte.

Bitte, Herr Kollege, fahren Sie fort.

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Herzlichen Dank. -- Im Falle von Telefonüberwachungen haben unmittelbar oder mittelbar Betroffene immerhin noch die Mög-

lichkeit, ihr Kommunikationsverhalten anzupassen. Anders beim großen Lauschangriff. Hier gilt keine situative Beschränkung. Eine Zurückhaltung persönlicher Informationen und intimster Äußerungen ist nicht möglich. Wenn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts -- so bereits im Mikrozensusurteil -- ein letzter, unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung zu gewähren ist, wird dies gerade mit dem Einsatz technischer Mittel zur akustischen Überwachung für zirka 20 Millionen staats- und abhörfreier Räumlichkeiten im Grundsatz aufgegeben.

Der unantastbare Kernbereich der Privat- und Intimsphäre wird nicht mehr garantiert. Bei einem kaum eingrenzbaren Kreis zum Teil auch unverdächtiger Bürgerinnen und Bürger wird in diesen Kernbereich eingegriffen. Das Bundesverfassungsgericht sprach in seiner Entscheidung -- Band 34, Seite 238 ff. -- von einem absoluten Schutz und von einem Innenraum, der der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen sein müsse. Dieser Innenraum ist nicht mehr gewährleistet. Der räumliche Schutz des Art. 13 bezieht sich auf einen bestimmten Bereich menschlichen Lebens. Das ist jetzt aufgehoben.

Ich darf Ihnen aus dem Bericht des Rechtsausschusses, der erst wenigen von Ihnen bekannt sein dürfte, da er erst heute früh verteilt worden ist, folgendes vorlesen:

höchstpersönliche Gespräche mit engsten Familienangehörigen ...

haben an der

Intimsphäre teil. Zwar ist die Grenze des absolut geschützten Bereichs ... nicht abstrakt bestimmbar ... Doch dürfen Abhörmaßnahmen um so weniger erfolgen, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, daß mit ihnen zutiefst private und deshalb absolut geschützte Gespräche erfaßt würden ...

und zwar wegen ihres rein privaten Inhalts ...

Das heißt, es gibt überhaupt keinen räumlichen Schutz mehr, auch nicht in der Wohnung. Der Schutz des Raumes ist doch gerade der Kern des Art. 13. Der Art. 13 konkretisiert den Schutz der Würde der menschlichen Persönlichkeit durch den Schutz eines bestimmten Raumes. Den Schutz dieses bestimmten Raumes heben wir jetzt auf.

(Glocke des Präsidenten)

Das ist meiner Meinung nach ein ganz gefährlicher Schritt, weil es ein absoluter Schritt ist.

Denen, die hier sagen, das betreffe nicht viele, entgegne ich: Das weiß niemand. Es geht -- und das beeinflußt mein Abstimmungsverhalten -- --

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Herr Kollege, ich muß Sie noch einmal unterbrechen. Sie sind bei einer Erklärung zur Abstimmung, also nicht bei einem Debattenbeitrag. Ich bitte Sie, sich bei der Erklärung zur Abstimmung an die Geschäftsordnung zu halten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der F.D.P.)

Dr. Uwe-Jens Heuer (PDS): Ja, ich begründe mein Abstimmungsverhalten. Es wird dadurch beeinflußt, daß hier ein Grundrecht in seinem Kernbestand aufgehoben wird.

Mein zweiter Grund ist der, daß der große Lauschangriff Ausfluß eines zutiefst untauglichen sicherheitspolitischen Konzepts ist, das zu einer ganzen Reihe von Änderungen geführt hat, von denen niemand beweisen kann, daß sie wirkliche Erfolge hatten. In der "Frankfurter Rundschau" von heute steht, daß, wenn

zwei Drittel der Bundestagsabgeordneten ...

heute zustimmen, eine konstitutive Tradition ... die Nachkriegsdeutschland geprägt hat, zu Ende geht. Es ist meine tiefe Überzeugung, daß die Bundesrepublik Deutschland -- das bestimmt mein Abstimmungsverhalten -- diesen Weg nicht fortsetzen darf.

Demokratie, Bürgerrechte und liberaler Rechtsstaat vertragen keine weiteren staatlichen Ausforschungsinstrumente wie den großen Lauschangriff, die immer tiefer in die individuelle Privatsphäre eingreifen.

(Beifall bei der PDS)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ehe wir mit den Abstimmungen fortfahren können, brauchen wir das Ergebnis der Auszählung der Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ich unterbreche die Sitzung, bis das Abstimmungsergebnis vorliegt.

(Unterbrechung von 13.03 bis 13.05 Uhr)

Vizepräsident Dr. Burkhard Hirsch: Ich eröffne die Sitzung wieder.

Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Änderungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 13/9663 zu dem von den Fraktionen von CDU/CSU und F.D.P. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 13 des Grundgesetzes) auf den Drucksachen 13/8650, 13/9642 und 13/9660 bekannt: Abgegeben wurden 641 Stimmen. Mit Ja haben gestimmt 105 und mit Nein 468 bei 68 Enthaltungen. Damit ist der Änderungsantrag abgelehnt.

Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen:641;

davon:

ja:104

nein:469

enthalten:68


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