In der juristischen Ausbildung wird praktisch ausschließlich das
Schreiben von Gutachten gelehrt und gelernt. Gutachten werden in
der Praxis z.B. benötigt, wenn bei einer Sachentscheidung
juristische Probleme auftauchen (eine Stadt möchte wissen, ob
sie im Stadtwald eine Müllverbrennungsanlage bauen
darf). Außerdem ist es in Kammern üblich, daß ein
Berichterstatter das Urteil vorbereitet. Aus dieser Verwendung
ergeben sich bestimmte Regeln für die Form des Gutachtens. Am
Beginn steht immer eine Frage. Die Frage wird sodann versucht
beantworten, wobei auf alle Probleme und vor allem abweichende
Meinungen eingegangen wird.
Da die Fallbearbeitung eines strafrechtlichen Gutachten
immer auf einem bereits vollständig ermittelten Sachverhalt
beruht, wird dort ausschließlich die Strafbarkeit bestimmter
Personen festgestellt. Relevant ist im Gutachten also, wer durch
welches Verhalten welchen Straftatbestand erfüllt
hat.1
Am Anfang der Ausführungen steht deshalb die Erwägung des
Bearbeiters, welche Strafrechtsnorm durch das Verhalten einer
Person verletzt sein könnte. Sodann folgt die Untersuchung, ob
die Strafrechtsnorm verletzt wurde, und das Ergebnis der
Erörterung.2
Daraus ergibt sich folgende Prüfungsreihenfolge:
Die Frage, ob ein bestimmter Straftatbestand bzw. ein
bestimmtes Tatbestandsmerkmal erfüllt ist, wird aufgeworfen.
Der Tatbestand ist die Zusammenfassung der Merkmale im
Strafgesetz, welche die Grundvoraussetzungen der Straftat
umschreiben. (z.B.: Tötung und Mensch im § 212)
Das Tatbestandsmerkmal wird definiert. Das heißt, das einzelne Merkmal wird mit Inhalt gefüllt. (Beispiel für § 223: Körperliche Mißhandlung umfaßt jede üble, unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt werden.)
In der Subsumtion wir erörtert, ob das im Sachverhalt beschriebene Verhalten den definierten Voraussetzungen entspricht. Die Subsumtion bildet in der Regel das Kernstück eines Gutachtens (Definitionen kann jeder abschreiben oder auswendig lernen...)
Das Ergebnis wird festgestellt. Die im Obersatz aufgeworfenen Frage wird beantwortet.
Im Gegensatz zum Bearbeiter eines Gutachtens muß der Richter den
Sachverhalt im Strafverfahren erst noch ermitteln. Im
Strafurteil stellt der Richter dann ein Ergebnis fest und
begründet dieses Ergebnis anschließend.3 Daraus ergibt sich
die folgende Gliederung:
das Ergebnis wird vorangestellt
und durch einen Vergleich von Definition
und Sachverhalt
begründet
Alles Problematische - und in der Anfängerübung ist alles
problematisch... - ist im Gutachtenstil zu prüfen. Dabei sind
Ausdrücke wie "folglich", "deshalb" oder
"demnach" hilfreich. Ausdrücke wie "weil",
"da", "denn" sind zu vermeiden, weil sie
eine Argumentation einleiten, die das Ergebnis schon
festgestellt hat und nun begründet. Lediglich
Selbstverständliches darf verkürzt festgestellt werden (z.B.,
daß ein Auto eine Sache ist).
Das Gutachten hat alles das und nur das zu enthalten, was
zur Begründung der Lösung nötig ist. Nicht notwendige
Darstellungen, schmückendes Beiwerk, schaden nur.4 Niemals ist eine
Bearbeitung mit Vorreden zu beginnen5, sondern es empfiehlt sich,
bereits im ersten Satz klarzustellen, welche konkrete
Verhaltensweise einer bestimmten Person auf ihre Strafbarkeit
hin untersucht wird. Allerdings sollte der Einleitungssatz im
Laufe der Ausführungen ein wenig variieren.
Aus der Struktur des Gesetzes ergibt sich für das
strafrechtliche Gutachten ein besonderer Aufbau. So gilt es
zunächst festzustellen, ob der vermeintliche Täter die Merkmale
des Tatbestandes (zum Beispiel des § 223) erfüllt hat. Diese
beschreiben in der Regel ein rein äußerliches Geschehen
("wer eine andere Person körperlich
mißhandelt..."). Die reine Verwirklichung eines
Tatbestandes reicht aber noch nicht aus, um zu einer
Strafbarkeit zu gelangen. In § 15 schreibt das Gesetz vor, daß
eine vorsätzliche oder fahrlässig Handlung vorliegen muß. Neben
den äußeren Tatbestand tritt also ein innerer.
Selbst, wenn der äußere und innere Tatbestand erfüllt ist,
heißt das noch nicht, daß wirklich eine Bestrafung eintritt. Man
denke nur an den Fall, daß jemand einen Angreifer in Notwehr
tötet. Der Tatbestand des § 212 I ist hier zwar erfüllt, niemand
würde aber ernsthaft behaupten wollen, daß diese Tat auch zu
bestrafen wäre. Neben der Erfüllung des Tatbestandes muß deshalb
(positiv!!) festgestellt werden, daß die Tat auch rechtswidrig
war.
Schließlich setzt eine Bestrafung (hiermit ist immer nur die
Kriminalstrafe, nicht aber eine Maßnahme gemeint!!) eine
persönliche Vorwerfbarkeit - Schuld - voraus.
Hieraus ergibt sich folgender - weder zwingende noch unbedingt sinnvolle, aber weit verbreitete - Aufbau:
I. | Tatbestand | |
1. | äußerer / objektiver Tatbestand | |
2. | innerer / subjektiver Tatbestand | |
II. | Rechtswidrigkeit | |
III. | Schuld |
Die folgenden Informationen stammen aus dem Internetangebot des
Instituts für Öffentliches Recht
(http://www.jura.uni-marburg.de/oeffr/info/hahinweise.html).
Die Gliederung soll den Aufbau der Arbeit für den Leser
nachvollziehbar machen. Sie darf nicht den Charakter einer
Inhaltsangabe annehmen. Die Gliederungsüberschriften sollen
substantivisch und nicht etwa in Form vollständiger Sätze oder
Fragen gebildet werden. Hinter jedem Gliederungspunkt ist die
Seitenzahl anzugeben. Die Gliederung darf nicht mehr oder
weniger Unterpunkte als der Text enthalten. Vorzugswürdig ist
folgendes Gliederungssystem:
1. Teil / A. / I. / 1. / a) /
aa) / (1) / (a) / (aa)
Das rein numerische Gliederungssystem ist weniger zu
empfehlen. Nach einem Gliederungspunkt a) muß auch ein b)
folgen. Sonst ist eine Untergliederung überflüssig. Das Ergebnis
wird nicht als mit eigener Nummer versehener Gliederungspunkt
aufgeführt.
Der aggressive A schlägt die friedfertige C ins Gesicht, woraufhin C bitterlich weinen muß, weil es ihr so furchtbar weh tut.
Obersatz: A kann eine Körperverletzung nach § 223 StGB
begangen haben als er C ins Gesicht schlug.
Definition: Eine Körperverletzung liegt vor, wenn jemand
einen anderen körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit
beschädigt.
Obersatz: Fraglich ist, ob A durch den Schlag ins Gesicht
die C körperlich mißhandelt hat.
Definition: Körperliche Mißhandlung umfaßt jede üble,
unangemessene Behandlung, durch die das körperliche Wohlbefinden
oder die körperliche Unversehrtheit mehr als nur unerheblich
beeinträchtigt werden.6
Subsumtion: Nachdem sie von A geschlagen worden ist,
beginnt C bitterlich zu weinen. Daraus läßt sich schließen, daß
der Schlag des A bei ihr erhebliche Schmerzen verursacht hat,
sie also in ihrem körperlichen Wohlbefinden beeinträchtigt ist.
Schlußfolgerung: Folglich ist C von A körperlich
mißhandelt worden.
Obersatz: Möglich ist, daß C außerdem an ihrer Gesundheit
beschädigt wurde.
Definition: Gesundheitsbeschädigung ist das
Hervorrufen oder Steigern eines krankhaften Zustandes
körperlicher oder psychischer Art.7
Subsumtion: Eine solche Folge ist hier nicht
ersichtlich.
Schlußfolgerung: Damit ist die C nicht an ihrer
Gesundheit beschädigt worden.
Obersatz: A muß vorsätzlich gehandelt haben.
Definition: Vorsatz ist das Wissen und Wollen der
Verwirklichung der zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden
Merkmale.8
Subsumtion: A wußte, daß die C durch sein Verhalten
in ihrem Wohlbefinden gestört würde und wollte dies auch.
Schlußfolgerung: Somit hat A seine Tat vorsätzlich
begangen.
Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich, A hat folglich rechtswidrig und schuldhaft gehandelt.
A hat sich durch sein Verhalten nach § 223 strafbar gemacht.
1 | Otto, Übungen im Strafrecht, (3. Aufl.), S. 5. |
2 | Otto, aaO., S. 10. |
3 | Tiedemann, Die Anfängerübung im StrafR, (2. Aufl.), S. 24. |
4 | Otto, aaO., S. 9. |
5 | Otto, aaO., S. 9 |
6 | Wessels, Strafrecht BT/1, Rn. 247. |
7 | Wessels. Strafrecht BT/1, Rn. 249. |
8 | Wessels, Strafrecht AT, Rn. 203; diese Definition ist zwar sehr weit verbreitet aber wohl nicht exakt - so kann man etwas nicht wissen, ob man den Tatbestand erfüllen wird; außerdem ist es fraglich, ob es auf das Wollen wirklich ankommt. |