Struktur und Dogmatik der Fahrlässigkeitsdelikte

Gesetzliche Grundlage

§ 15 unterscheidet zwischen Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässiges Handeln muß im Gesetz ausdrücklich mit Strafe bedroht sein.
Vorsicht: Strafantrag möglicherweise erforderlich!

Erscheinungsformen

bewußte Fahrlässigkeit

Der Täter weiß um die Möglichkeit der Verwirklichung eines Tatbestandes - vertraut aber darauf, daß sich der Erfolg nicht verwirklichen wird.

unbewußte Fahrlässigkeit

Der Täter weiß nicht um die Möglichkeit des Erfolgseintrittes.
Diese Unterscheidung ist nicht für die Qualifizierung eines Delikts als Fahrlässigkeitstat entscheidend. Sie spielt nur im Rahmen der Strafzumessung eine Rolle (§ 46 II)

Leichtfertigkeit

In einigen Tatbeständen ist Leichtfertigkeit gefordert. Hierbei handelt es sich um eine gesteigerte Form der Fahrlässigkeit. Sie entspricht in etwa der groben Fahrlässigkeit des Zivilrechts. Die Anforderungen, die hieran zu stellen sind, können sich in den Delikten unterscheiden (z.B. §§ 218 und 251).

zweistufiger Aufbau der traditionellen Fahrlässigkeitslehre

Die traditionelle Lehre bestimmt das personale Verhaltensunrecht zweistufig. Zunächst wird im TB auf eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung abgestellt. Erst in der Schuld wird dann untersucht, ob vom konkreten Täter normgerechtes Verhalten erwartet werden konnte. Umstritten ist im Rahmen dieser Lehre, inwieweit bestimmtes Sonderwissen und -können berücksichtigt werden muß. Folgende "Spielarten" werden vertreten
  • reine objektive Bestimmung nach einem besonnen Menschen aus dem Verkehrskreis des Täters
  • Berücksichtigung von Sonderwissen
  • Berücksichtigung von Sonderkönnen
  • Berücksichtigung von Sonderwissen und -können

Einstufiges Konzept (Freund)

Der zweistufige Aufbau schafft nur "Scheinprobleme" - "Wer zunächst diese Maßstabsfigur bildet, stellt gleichsam gedanklich nicht nur eine, sondern immer zwei Personen vor Gericht: eine aus Fleisch und Blut und einen Homunkulus".
Für die Beurteilung des betreffenden Täters ist es irrelevant, wie sich ein theoretischer objektiver Mensch verhalten hätten. Außerdem ist es bei ungewöhnlichen Fallkonstellationen nahezu unmöglich einen objektiven Dritten zu bilden ("50jährige farbenblinde Fahranfänger, die zudem noch sehr schreckhaft sind").

Traditioneller Aufbau der Fahrlässigkeitsdelikte

A.   Tatbestand
  I.   Erfolgseintritt durch kausale Handlung
  II.   obj. Sorgfaltspflichtverletzung
    1.   Sorgfaltspflichtbestimmung
      a)   besonnener Mensch
      b)   Verhaltensnorm
      c)   Eingrenzung: erlaubtes Risiko
    2.   Abweichung des Täters vom sorgfaltsgemäßen Verhalten
  III.   obj. Vorhersehbarkeit
  IV.   obj. Zurechnung des Erfolges
    1.   Pflichtwidrigkeitszusammenhang
    2.   Schutzzweckzusammenhang
B.   RW
A.   Schuld
  I.   subj. Sorgfaltspflichtverletzung
    1.   subj. Vermeidbarkeit
    2.   subj. Vorhersehbarkeit
  III.   Unzumutbarkeit normgerechten Verhaltens


Die Merkmale im Einzelnen

objektive Sorgfalftspflichtverletzung

Hilfen zur Konkretisierung fahrlässigen Verhaltens


Erlaubtes Risiko

Nicht jedes gefährliche Verhalten ist verboten. Dies ist nur der Fall, wenn die Grenze zum sozial tolerierten überschritten wird.
Im Ergebnis ist dieses Korrektiv anerkannt, streitig ist die dogmatische Einordnung. Richtigerweise (.... ;-) dürfte aber schon kein Verhaltensunrecht vorliegen, wenn ein Verhalten nicht mißbilligt werden kann.
  • soziale Adäquanz (z.B. Autofahren)
  • Vertrauensgrundsatz (z.B. ein Verkehrsteilnehmer kann sich so verhalten, als ob, alle anderen sich auch richtig verhielten - obwohl das Gegenteil offensichtlich ist.)

objektive Erkennbarkeit

Nach allgemeiner Ansicht liegt die objektive Erkennbarkeit vor, wenn der wesentliche Kausalverlauf und der eingetretene Erfolg nicht so sehr außerhalb aller Lebenserfahrung liegen, daß man nicht damit zu rechnen braucht.

objektive Zurechenbarkeit

Prinzipiell gibt es hier keine Besonderheiten bei den Fahrlässigkeitsdelikten. Unter den Stichworten Pflichtwidrigkeits- und Schutzzweckzusammenhang wird noch festgestellt, daß sich im konkreten Erfolg aufgrund eines tatbestandsadäquaten Kausalverlaufs gerade die "Pflichtwidrigkeit" des Täterverhaltens, d.h. diejenige rechtlich mißbilligte Gefahr verwirklicht haben muß, die durch die Sorgfaltspflichtverletzung des Täters geschaffen oder gesteigert worden ist und deren Eintritt nach dem Schutzzweck der einschlägigen Norm vermieden werden sollte.
Da viele "Fahrfährlässigkeitsprobleme" in Wahrheit Zurechnungsprobleme sind, empfiehlt es sich hier, besonders sorgfältig zu arbeiten.

Schuld

Die h.M. stellt erst in der Schuld fest, ob die Tat für den individuellen Täter auch vorhersehbar und vermeidbar war. (Zur Problematik, siehe oben)

Zumutbarkeit normgerechten Verhaltens

Bei dieser Fallgruppe handelt es sich um durch das Recht geübte Nachsicht menschlicher Schwächen bei Fahrlässigkeitsdelikten (RGSt 30, 25 "leinenfängerfall"). Richtigerweise wird es sich hierbei allerdings nicht um ein Schuld-, sondern um ein Tatbestandsproblem handeln. Wenn von einer Person nicht erwartet werden kann, sich normgerecht zu verhalten, dann liegt schon kein Verhaltensunrecht vor (str.).


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